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Nur ein einziger Kuss, Mylord?

Nur ein einziger Kuss, Mylord?

Titel: Nur ein einziger Kuss, Mylord? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ELIZABETH ROLLS
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Spaziergänge mit ihr unternommen. Abends hatte er ihr vorgelesen, während sie mit ihrer Stickarbeit beschäftigt war. Gestern hatte sie sich an das alte Cembalo im Salon gesetzt, und er hatte ihrem Spiel gelauscht.
    In einiger Hinsicht kannte sie ihn nun recht gut. Sie wusste, welche Bücher er mochte, welche Musikstücke, und dass er eine Schwäche für Apfelkuchen hatte. Sie wusste, dass er sich um seine Pächter kümmerte und dass er in seinem Titel eine Verantwortung sah und nicht ein Privileg.
    Dennoch kannte sie ihn nicht wirklich. Und sie hatte das Gefühl, dass es ihm so lieber war. Die untadelige Zuvorkommenheit, die er ihr gegenüber an den Tag legte, erschien ihr wie ein unüberwindlicher Wall zwischen ihnen. Sie hatte geglaubt, der Vollzug der Ehe würde die Dinge leichter machen. Das Gegenteil war der Fall.
    Gestern hatte sie bemerkt, wie er sie beobachtete, unauffällig, doch so angespannt, dass ihr die Frage durch den Sinn geschossen war, ob sie sich irgendeines Fehlers schuldig gemacht hatte. Oder ob da womöglich ein Schmutzfleck auf ihrer Nase war. Aber vor ihrer Zimmertür hatte er ihr nur höflich Gute Nacht gewünscht und war in seinem Schlafgemach verschwunden.
    Sie hatte sich die halbe Nacht unruhig hin und her gewälzt, nun war sie wach, und es herrschte noch Dämmerung. Sie schlug die Decke zurück, kletterte aus dem Bett und trat ans Fenster. Leichter Bodennebel lag über den Wiesen, und die Vögel begannen zu zwitschern. Es konnte nicht später als fünf Uhr sein, doch an Schlaf war nicht mehr zu denken.
    Weiter unten am Fluss ragten die Steinbögen der alten Abtei wie Traumgebilde aus den Dunstschleiern empor, nichts störte die Ruhe der efeuumrankten eingestürzten Mauern. Später am Tag würden sie widerhallen von den Stimmen und dem Lachen der zahlreichen Besucher, die sie zu besichtigen pflegten. Zu solch früher Stunde jedoch herrschten Stille und Frieden an diesem Ort, die gleiche Stille und der gleiche Frieden wie auf dem Waldpfad, den sie entlanggewandert war, bevor Julian sie geküsst und ihre Welt aus den Angeln gehoben hatte.
    Es war nur ungefähr eine Meile bis zu der alten Abtei. Zum Frühstück würde sie längst wieder zurück sein. Wenn sie sich gleich auf den Weg machte, wäre sie völlig ungestört, allein mit sich, den Vögeln und dem leisen Wellenschlag des Flusses.
    Julian blinzelte ungläubig, als er die schmale, in einen Umhang gehüllte Gestalt über den taufeuchten Rasen eilen und die Richtung zum Fluss einschlagen sah. Im fahlen Licht des beginnenden Tages wirkte sie durchscheinend, schwerelos, wie ein Wesen aus einer anderen Welt.
    Doch niemand wusste besser als er selbst, dass sie eine Frau aus Fleisch und Blut war. Letzte Nacht hatte er der Versuchung, zu ihr zu gehen, nur mit Mühe widerstehen können. Sie war ihm rastlos erschienen, als er ihr Gute Nacht gewünscht hatte, förmlich überreizt. Er glaubte den Grund zu kennen. Nachdem er sie den ganzen Tag nicht aus den Augen gelassen und sich ständig gefragt hatte, ob es zu früh war, sie erneut zu nehmen, musste sie verstört gewesen sein.
    Er entledigte sich seines Nachthemds, wusch sich und kleidete sich an. In den zwei Wochen, die sie hier waren, hatte er ihr die Sehenswürdigkeiten der Gegend gezeigt, Ausritte mit ihr gemacht, ihr beigebracht, einen Einspänner zu lenken. Die Versagung körperlicher Befriedigung einmal beiseitegelassen, war es die schönste Zeit seines Lebens gewesen. Einfach mit ihr zusammen zu sein empfand er als ein Vergnügen. Gestern hatte er mit ihr die Burg von Chepstowe besichtigt. Können wir wieder hierherkommen? hatte sie ihn anschließend gefragt.
    So lange sind wir nicht mehr hier.
    Dann beim nächsten Mal?
    Er zog die Stiefel an und stand auf. Er wollte ein nächstes Mal, aber ohne Versagung und Schuldgefühle. Das Thema der Hochzeitsnacht anzuschneiden hatte er die ganze Zeit tunlichst vermieden, aus Sorge, sie in Verlegenheit zu bringen. In der kindischen Hoffnung, dass sich alles von selbst lösen würde. Aber es war sein Verschulden, und es lag an ihm, die Dinge in Ordnung zu bringen.
    Er fand sie auf einem heruntergefallenen Steinblock sitzend. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet, und auf ihrem halb abgewandten Gesicht lag ein Ausdruck friedvoller Ruhe. Einen kurzen Moment zögerte er, fragte sich, ob er sich zurückziehen oder warten sollte, bis sie ihn bemerkte.
    Sie drehte sich um, bevor er zu einer Entscheidung gelangt war. Bei seinem Anblick weiteten sich ihre

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