Nur ein Jahr, Jessica!
Bewegung, ich habe lange genug auf meinen vier Buchstaben gesessen…“
„Vier?“ wiederholte Falko. „Du hast nur noch zwei, du bist so dünn, daß du dich hinter einem Besenstiel verstecken könntest. Du bist eine denkbar schlechte Reklame für deine eigenen Kochkünste!“
„Kochkünste! Wann sollte ich die praktizieren, außer ab und zu hier bei dir?“
„Hier praktizierst du sie jedenfalls phantastisch. Was du mit Hilfe einer Bratpfanne, eines Kochtopfes und einer kleinen Kochplatte zaubern kannst, das ist direkt imponierend!“
Ich mußte lachen. „Ja, verglichen mit dem Mensaessen ist es bestimmt phantastisch. Doch dazu gehört nicht viel. Aber…“
„Was heißt hier aber? Wer ist eingesprungen an dem Donnerstag, als sich Tante Christiane ihre Hand verbrüht hatte? Wer hat das ganze Donnerstagsessen gekocht? – Wer übernahm das Kochen an Ankes Geburtstag? Wer hat…“
„Nun hör doch endlich auf, Falko. Natürlich kann ich ein bißchen kochen, das kann doch jede normale Frau.“
„O sancta simplicitas! Frage Anke, frage Reni! Die kennen nicht den Unterschied zwischen einem Mandelpudding und einer gegrillten Wurst!“
„Doch, wenn sie es vorgesetzt bekommen! Im Ernst, Falko, natürlich kann ich kochen, das habe ich schon als Schulmädchen machen müssen, wenn Mutti den ganzen Tag im Laden stand. Es machte mir Spaß, den Eltern abends etwas Schönes vorzusetzen, wenn sie müde und hungrig aus dem Geschäft kamen. Außerdem kann meine Mutter unglaublich gut kochen, ich habe mir allerlei von ihr abgeguckt.“
„Na also! Daß du mir bloß nicht das Kochen vor lauter Wissenschaft verlernst! Solltest du beim Staatsexamen durchfallen, kannst du dich jederzeit als Köchin großartig ernähren und einen Ehemann dazu!“
2 666.311 „Aha!“ sagte ich. „Das ist also der Grund, warum du mich einmal heiraten willst!“
„Vielleicht. Aber es ist nicht der Hauptgrund“, meinte Falko.
Er hob sein Rotweinglas und sah mir lächelnd in die Augen. Seine freie Hand lag auf meinem Nacken.
„Dann prost und herzlichen Glückwunsch – cand. med. Jessica Berner!“
Ein Brief von Mutti
Birkendorf, 20. Februar
Mein liebes Jessilein!
Du kannst Dir vielleicht vorstellen, welche Gefühle Dein Telegramm bei uns auslöste!
Wir sind stolz auf Dich, Kind, und es ist uns klar, daß Du den richtigen Beruf gewählt hast. Kommst Du nun nach Hause, jedenfalls für eine kurze Zeit, damit wir Dich in die Arme nehmen können und Dir mündlich alles sagen, was sonst unzählige Bögen Papier füllen würde?
Nun, mein Kind, muß ich etwas schreiben, was mir sehr weh tut. Ich muß Dir etwas erklären, wenn auch mein Herz dabei blutet, und Dir eine große Enttäuschung bereiten. Du bist so tapfer, so fleißig und genügsam gewesen, mein Jessilein! Wie wäre es himmlisch, wenn ich Dir jetzt schreiben könnte: „Ab jetzt werden wir Deinen Monatswechsel verdoppeln“, oder: „Du brauchst nicht mehr diese dämlichen Ferienjobs anzunehmen“ – ach Kind, es wäre zu schön!
Was ich Dir zu sagen habe, was ich Dir sagen muß, ist leider, leider etwas ganz anderes.
Ich muß also einen Kopfsprung ins kalte Wasser machen, es hilft nichts!
Es geht um unsere Finanzen.
Du weißt, daß wir wegen der vielen neuen Geschäfte hier in der Nähe schon seit einigen Jahren Schwierigkeiten haben. Unser Umsatz ist beträchtlich zurückgegangen, wir haben sogar unser kleines Sparkapital angreifen müssen, was natürlich nicht sein dürfte. Wir leben äußerst sparsam, haben auch zwei Zimmer vermietet und meinten, wir könnten es so schaffen. Seit zwei Jahren ist der Umsatz jedenfalls stabil, wenn auch klein, und wir haben einen dementsprechenden Haushaltsplan aufgestellt, bei dem selbstverständlich der Monatswechsel an Dich an erster Stelle steht.
Nun ist aber die Katastrophe eingetreten: Gegenüber der Apotheke, also kaum hundert Meter von uns entfernt, ist ein ganz moderner Supermarkt eröffnet worden. Du kannst Dir denken, wie sich das auf unseren kleinen Laden auswirkt. Wir müssen jetzt etwas unternehmen, es muß sehr viel geändert werden – aber das wird Geld kosten.
Bevor ich weiter darüber erzähle, muß ich Dir also die Frage stellen, die mir seit zwei Monaten wie eine Last auf der Seele liegt. Ich gäbe alles auf der Welt, um sie nicht stellen zu müssen, aber es gibt keinen Ausweg:
Jessilein, unsere tapfere kleine Cand. med. – kannst Du Dir vorstellen, ein Jahr mit Deinem Studium auszusetzen? Nein, um
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