Nur ein Katzensprung
Katzensprungtorhaus. Plötzlich jubelte Paul.
„Kims Sporttasche!“
Direkt daneben entdeckte Ollner die Holztür. Er legte einen Finger auf den Mund. „Psst. Wir müssen uns anschleichen. Damit er Kim nichts tut. Wir wissen nicht, ob er bewaffnet ist.“
Paul nickte.
Kofi sagte zu ihm: „Paul, da kommen Irene und Magdalena. Du bleibst hier und passt auf die Frauen auf. Sie dürfen nicht da hinein. Das ist viel zu gefährlich.“
Paul nickte wieder. Nachdem Stefan und Kofi in dem Gang verschwunden waren, stellte er sich davor.
Kofi schlich voraus, Ollner folgte ihm schwerfällig.
Nach einigen Metern hörten sie jemanden schreien, dann klatschte etwas. Kofi ließ alle Vorsicht fahren. Er schnellte vorwärts und landete in einem kleinen Zimmer. Er sah Nussbaum, der sich über Anna beugte, sie an den Haaren packte und gegen die Wand schlagen wollte. Kofi rappelte sich auf. Konnte er die Waffe benutzen? Im flackernden Licht der Kerzen erkannte er die steinernen Wände. Zu gefährlich. Mit einem Schrei stürzte er sich auf Nussbaum. Er schlug ihm die Faust auf die Nase und drehte ihm den Arm auf den Rücken. „Anna!“, rief er. „Anna, bist du okay?“
Stefan tauchte bei ihm auf. Gemeinsam legten sie Nussbaum Handschellen an und setzten ihn auf einen der Stühle.
Kofi beugte sich zu Anna hinunter, strich ihr die Haare aus dem Gesicht und küsste sie sanft. Sie öffnete die Augen, erkannte ihn und lächelte.
Stefan zerrte und riss an der Folie, die Kim bereits bis zur Brust bedeckte. „Sie lebt noch, aber sie ist völlig ausgekühlt.“
„Ihre Kleidung liegt hier am Boden.“
„Das dauert zu lange.“ Stefan zog ächzend vor Schmerzen seine Jacke aus und wickelte das Kind darin ein.
Kofi hatte Anna aus der Folie geschnitten und stützte sie auf dem Weg nach draußen.
Während Ollner und die anderen vor dem Haus auf den Notarztwagen warteten, ging Kofi noch einmal in den Kellerraum zurück. Der Anwalt starrte ihn hasserfüllt an. Doch Kofi ignorierte ihn.
Als er Emmas Leiche entdeckte, stieg die Wut in ihm mit solcher Macht auf, dass er Nussbaum am liebsten von hinten die Taschenlampe über den Kopf geschlagen hätte. Stattdessen verpasste er ihm nur eine Kopfnuss. Nussbaum schrie vor Schreck auf und ließ sich vornüber fallen, mit dem Gesicht auf den Tisch.
Kofi stellte sich in die Nische und betrachtete das körnige Schwarz-Weiß-Foto, das wohl Nussbaums Mutter zeigte. Überlebensgroß, mit kalten Augen, einer strengen Nase und einem fordernden Gesichtsausdruck.
Kofi hatte das Gefühl, als würde sie missbilligend auf ihn herabblicken, als fragte sie sich: „Was bist du für ein Versager?“
Er zeigte ihr den Mittelfinger und zog den Samtvorhang zu.
Hinter ihm fing Oliver Nussbaum an zu weinen.
Als Kofi sich bückte, um Kims Kleidungsstücke aufzuheben, bemerkte er ein Buch, das an der Wand lehnte. Er nahm es an sich und schlug es auf.
Auf der ersten Seite sah er das Foto eines dunkelhaarigen Jungen. Er war nackt in Folie eingewickelt und lag auf einer Pritsche, die anders aussah als die, vor der Kofi stand. „Antonio, Klavier“ lautete die Überschrift. Kofi blätterte weiter. Ein Mädchen mit dunklen, geflochtenen Zöpfen. „Maria Teresa, Tennis“, er klappte die nächsten Seiten um. „Hilmar, Fußball“. Diese Fotografie war offensichtlich in diesem Kellerraum aufgenommen worden und präsentierte den schmalen Jungen aus Heide. Das nächste Blatt zeigte Kelvin, danach folgte Emma. Die folgende Seite trug nur eine Überschrift: „Kim, Ballett.“ Das Foto fehlte.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
Holzminden
Dienstag, 8. November 2011
gegen 16.30 Uhr
62
Stefan Ollner hatte sich doch noch krankschreiben lassen. Deshalb fuhr Kofi nach der Arbeit mit einer Auswahl chinesischer Take-away-Schachteln bei ihm vorbei.
„Oho, es duftet nach Curry-Hühnchen, lecker, du darfst eintreten.“
„Geht’s dir besser?“, fragte Kofi, während er die Behälter auf den Küchentisch stellte.
„Wenn ich auf meinem Bett liege und lese, tut mir nichts weh.“
„Das ist doch ein Fortschritt, oder?“ Kofi nahm Teller und Löffel aus dem Küchenschrank. „Ich wollte dir nur sagen, dass die Kölner Kollegen Hanske aufgegriffen haben, er hat in irgendeiner speckigen Spelunke das heulende Elend bekommen. Der Wirtin war’s nicht geheuer, deshalb hat sie im Abschnitt angerufen. Er wird morgen überstellt.“
„Viel wird er uns nicht erzählen
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