Nur ein Katzensprung
wichtig ist und was nicht. Ich sammele alle Informationen, die ich bekommen kann.“ Kofi blickte verstohlen auf die Uhr. Wo blieb Stefan?
Zu gern würde er allein mit dem Jungen reden, in aller Ruhe. Er versuchte einen neuen Anlauf. „Du hast im Bus neben Kelvin gesessen?“
Jonas senkte den Blick. „Er ist mein Judo-Freund, und jetzt ist er verschwunden. Ich weiß nicht, wo er ist. Ich bin zuerst ausgestiegen. Mami und Papi haben gewinkt, ich bin hingelaufen.“
Kofi lächelte ihn an. „Du hast nichts falsch gemacht. Aber wir können Kelvin nicht finden. Verstehst du? Deswegen wollen wir wissen, was er gemacht hat, bevor er verschwunden ist.“
„Ist er tot?“
Frau Schwarze stöhnte laut auf. Die roten Haare hatte Jonas scheinbar von ihr geerbt, obwohl ihre blondiert schienen. Sie war sorgfältig frisiert, trug aber einen dunkelblauen Jogginganzug und Pantoffeln.
Ihr Mann nahm sie in die Arme und flüsterte: „Du kannst nichts dafür. Hör auf, dir Vorwürfe zu machen.“ Zu Kofi gewandt fügte er hinzu: „Meine Frau glaubt, dass es ihre Pflicht gewesen wäre, auf Kelvin zu achten.“
„Sie glauben das nicht?“
„Nein. Wir konnten nicht ahnen, dass Angela einen Platten hatte und zu spät kommen würde. Sie müssen sich die Situation vor Augen halten. Da stürmten mehr als fünfzig aufgedrehte Kinder aus dem Bus, alle in weißen Judoanzügen. Wenn Jonas nicht auf uns zu gelaufen wäre und laut gerufen hätte, niemals hätte ich ihn auf Anhieb gefunden.“
„Was passierte, nachdem alle ausgestiegen waren?“
„Jonas erzählte uns von den Aufgaben, die er lösen musste, und dass er drei Gegner besiegt hat. Er hörte nicht mehr auf zu reden. Meine Frau meldete uns beim Betreuer ab. Ich ging mit meinem Sohn zum Auto.“
„Zu dieser Zeit stand Kelvin neben dem Mülleimer“, sagte Jonas. Dann richtete er sich auf, ging zu einer der Spielzeugkisten und holte sich einen großen Löwen. Mit dem Kuscheltier im Arm setzte er sich wieder aufs Sofa. Seine Eltern beobachteten ihn aufmerksam, sagten aber nichts.
„Neben welchem Mülleimer?“
„Gleich an der Straße, da hat jemand einen blauen Hai drauf gemalt. Bei der Bushaltestelle.“ Kofi erinnerte sich, dass es in der Innenstadt eine Reihe bunt bemalter Müllbehälter gab. Doch er hätte nicht sagen können, was auf ihnen zu sehen war.
„Was hat er da gemacht?“, fragte er den Jungen.
„Er hat ein Trinkpäckchen weggeworfen.“
„Und dann?“
Jonas zuckte mit den Schultern. „Ich habe nichts weiter gesehen.“
„Wir beide sind in den Wagen eingestiegen. Nachdem meine Frau gekommen war und sich angeschnallt hatte, sind wir nach Hause gefahren“, sagte Herr Schwarze. Er stand vor einem Regal mit richtigen Schallplatten. Zu gern hätte Kofi sich die Hüllen angeschaut. Stattdessen fragte er: „Sie können sich nicht erinnern, ob Kelvin da noch vor dem Mülleimer stand?“
Jonas‘ Vater schloss für einen Moment die Augen, schien sich zu konzentrieren. „Unser Auto war so abgestellt, dass ich die Haltestelle im Rückspiegel sehen konnte. Ich muss beim Ausparken zwangsläufig in die Richtung geschaut haben.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern. Verstehen Sie, da war alles voller Wagen. Außerdem war es trotz der Laternen recht dunkel.“
‚Alle im Halteverbot geparkt, könnte ich wetten‘, dachte Kofi.
„Ständig liefen Erwachsene und Kinder über die Straße, Autos fuhren los, hupten zum Abschied, und der normale Verkehr war ja auch noch da. Die Lage war einfach unübersichtlich.“
‚Genau deswegen gibt es Verkehrsregeln‘, dachte Kofi. ‚Wenige Meter weiter sind riesige Parkplätze. Wenn alle dort geparkt hätten, wäre vielleicht aufgefallen, dass Kelvin nicht von seiner Mutter abgeholt wurde. Aber wehe, man sagt was.‘
Frau Schwarze schnäuzte sich die Nase und erklärte dann: „Ich hatte bereits Abendessen vorbereitet, weil ich dachte, Jonas wäre bestimmt müde nach so einem anstrengenden Tag. Nur einen Happen essen und dann ab ins Bett, aber er war quietschfidel, richtig aufgedreht. Anschließend saß er in der Badewanne. Er war so glücklich, dass er hinterher seinen Judoanzug sofort wieder angezogen hat. Er will darin schlafen.“
Kofi erkannte, dass sie überaus stolz auf ihren Sohn war und sich mit ihm freute. „Wann hat sich Frau Angela Jänicke bei Ihnen gemeldet?“
„Sie hat zweimal angerufen. Das erste Mal klingelte unser Telefon schon, als wir gerade die
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