Nur ein Katzensprung
seinen Namen auszusprechen. Bitte sagen Sie Kelvin. Setzen Sie sich.“ Sie legte ihre Hand auf seine Schulter und dirigierte ihn sanft zu einem der beiden Sessel. Sie selbst ließ sich auf das Sofa sinken.
„Kein Problem. Also, Kelvin war, äh, ist ein guter Judoka?“
„Er hat großes Talent. Leider kann er erst 2024 an den Olympischen Spielen teilnehmen, denn natürlich muss er erst sein Abitur machen.“
Kofi wusste im ersten Augenblick nicht, wie er darauf reagieren sollte.
Einem Siebenjährigen vorherzusagen, dass er in dreizehn Jahren zum Olympiakader gehören würde, hielt er für mehr als verfrüht, ja geradezu für vermessen. Er versuchte, ihren Blick aufzufangen. Machte sie sich über ihn lustig? In der Situation? Wohl kaum. Er schaute sie an. Ihre Augen flatterten, schienen nicht richtig zu fokussieren.
Hatte Frau Jänicke noch nichts von der Pubertät gehört oder von Mädchen, die Jungen Flausen in den Kopf setzten?
Kofi versuchte, sein Erstaunen mit einem Lacher zu überspielen. Obwohl es in seinen Ohren sehr aufgesetzt klang, nahm Frau Jänicke ihn ernst.
„Sie brauchen nicht so ungläubig zu lachen. Man kann alles erreichen, wenn man sich nur ausreichend anstrengt.“ Sie sprach ganz langsam, betonte jede Silbe.
Unauffällig sah Kofi sich in der Wohnung um. Sie saßen im Wohnzimmer, Eiche hell, nicht Ikea, billiger und ziemlich hausbacken, sauber, aber abgenutzt. Für sich selbst galt Frau Jänickes Spruch anscheinend nicht. Oder war Verkäuferin bei Douglas wirklich ihr Traumberuf? Kofi beschloss, über etwas anderes zu sprechen.
„Kelvin hat gestern alle seine Kämpfe gewonnen.“
„Selbstverständlich.“
„Sie wussten das schon?“
„Ja und nein.“
„Wie das?“
„Ich wusste es, weil er immer der Beste war. Aber bisher hatte es mir noch niemand bestätigt. Irgendwie war es bislang nicht wichtig. Bitte, Sie müssen Kelvin bald finden. Er darf das Training nicht versäumen, sonst kann er nicht zur nächsten Gürtelprüfung antreten.“
Hatte die noch alle Latten am First? Der Junge war verschwunden, und das Einzige, worum sie sich sorgte, war so eine dämliche Gürtelprüfung. Am liebsten hätte er sie geschüttelt.
Dann hatte er eine Idee. „Hat Ihnen Ihr Arzt etwas gegeben?“
Sie lächelte. „Ja. Ich soll nur eine am Tag nehmen.“ Sie sah ihn verschwörerisch an. „Ich hab’ aber schon drei intus, und dann wurde ich so müde, dass ich im Sitzen eingeschlafen bin. Da habe ich schnell eine von meinen üblichen Tabletten genommen. Wissen Sie, ich muss im Shop den ganzen Tag stehen, da brauche ich ein paar Kraftspender.“ Sie legte ihre Hand auf seine. „Ich tue alles für Kelvin.“
„Okay.“ Er stand auf. „Was halten Sie davon, wenn ich uns einen Kaffee und Ihnen dazu noch eine Scheibe Brot mache?“
„Wenn es Ihnen Spaß macht. Die Küche ist da.“
Sie zeigte auf eine halb geöffnete Tür, folgte ihm und setzte sich an den Küchentisch.
„Wie ist Kelvins Verhältnis zu seinem Vater?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Wenn er ihn nicht sieht, vermisst er ihn auch nicht. Sobald er ein Wochenende in Hildesheim war, fällt es ihm schwer, wieder hierher zu kommen. Aber das ist ja kein Wunder, die verwöhnen ihn nach Strich und Faden. Da kann ich nicht mithalten. Bei mir ist Alltag, in Hildesheim ist immer Wochenende.“
„Können Sie sich vorstellen, dass Kelvin zu seinem Vater wollte und vielleicht gestern Abend einfach losmarschiert ist, als Sie nicht gekommen sind, um ihn abzuholen?“
„Das würde er sich nicht trauen.“
„Wieso nicht?“
„Er fürchtet sich im Dunkeln. Ich muss immer ein Nachtlicht brennen lassen.“
„Könnte es sein, dass Ihr Mann Kelvin abgeholt hat?“
„In vier Tagen ist wieder Hildesheim-Wochenende. Unter der Woche ist er bei mir. Wegen der Schule und so.“
„Möglicherweise hatte der Vater Sehnsucht nach seinem Sohn?“
„Das wäre ja mal ganz was Neues.“
„Sie hatten gestern einen Platten?“
Sie nickte. „Mein Polo hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel.“
„Wo ist das denn passiert?“
„Vorne rechts.“
„Nein, ich meinte, wo in Holzminden?“
„An der Fürstenberger, Ecke Wilhelm-Raabe, da müsste noch mein Warndreieck stehen. Habe ich in der Eile vergessen.“
„Haben Sie den Reifen allein gewechselt?“
„Natürlich nicht. Ein LKW-Fahrer hat mir geholfen. Ein Pole, aber nett. Er sprach niedlich Deutsch.“
Kofi konnte an ihren Augen sehen, dass sie sich bemühte, an alles Mögliche
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