Nur ein kleines Intermezzo?
Ben ausgezeichnet zielen, und darüber hinaus hatte er Mack fast eine Stunde lang von einer gewissen höchst verwirrenden Ärztin abgelenkt. Der Besuch hatte sich also gelohnt.
“Ich bin mit Tony Vitales Blutwerten gar nicht zufrieden”, sagte der Hämatologe, der Beth in ihrem Büro gegenübersaß. “Er reagiert nicht wie erhofft. Wir sollten eine Transfusion in Betracht ziehen, bevor er noch schwächer wird.”
Dagegen hatte Beth nichts einzuwenden, fürchtete jedoch, es könnte sich auf Tony und seine Mutter demoralisierend auswirken, weil beide erkennen würden, dass die anderen Maßnahmen nicht griffen.
“Bist du dagegen?”, fragte Peyton Lang.
“Wir können ihn nicht aufgeben”, antwortete Beth entschieden.
“Vielleicht gewinnen wir dieses Mal nicht”, warnte Peyton. “Du solltest dich mehr zurücknehmen.”
“Auf keinen Fall”, wehrte Beth ab. “Und ich gebe Tony nicht auf. Also gut, Transfusion gleich morgen früh. Heute Abend spreche ich mit Tonys Mutter.”
Der Hämatologe verließ den Raum, und Beth war schon an der Tür, als Mack auftauchte. Er warf einen Blick auf ihre gequälte Miene und drängte sie gleich wieder in ihr Büro zurück.
“Was ist los?”, fragte er. “Setzen Sie sich. Sie sehen schrecklich aus.”
“Das hört jede Frau gern”, murmelte sie, ließ sich jedoch in ihren Sessel sinken.
“Ich bin nicht hier, um Ihnen zu schmeicheln.”
“Eindeutig nicht. Warum sind Sie dann hier?”
“Ich war bei Tony. Er sieht nicht gut aus.”
Beth nickte. “Er braucht eine Transfusion, die ihm noch ein wenig Zeit verschafft.”
Mack sah sie betroffen an. “Wie viel? Tage? Wochen?”
“Mehr nicht.”
“Was ist mit einer Knochenmarktransplantation?”
“Sein Zustand ist im Moment zu wackelig. Es wäre zu riskant.”
“Sie haben eben gesagt, dass ihm nur Tage oder Wochen bleiben. Wäre es da nicht höchste Zeit, ein Risiko einzugehen?”
“Es gibt Vorschriften, tut mir leid.”
“Damit finde ich mich nicht ab”, widersprach er heftig.
“Wir haben keine andere Wahl.”
“Ich schon!”, rief er. “Wir suchen ihm einen anderen Arzt und eine andere Behandlungsmethode! Dieser Junge wird nicht sterben, solange wir nicht alles Erdenkliche getan haben.”
Beth fühlte sich keineswegs verletzt, dass Mack nicht überzeugt war, sie würde alles in ihrer Macht Stehende tun. Nur zu gut kannte sie diesen hilflosen Zorn, den er jetzt empfand. “Mack, wir bieten ihm hier im Krankenhaus die denkbar beste Behandlung”, erklärte sie ruhig.
“Aber Sie geben ihn auf.”
“Nein!”, widersprach Beth heftig. “Niemals. Ich versuche nur, realistisch zu sein.”
“Darauf pfeife ich!”, herrschte er sie an. “Tut mir leid, ich sollte das nicht an Ihnen auslassen. Ich weiß, wie sehr Sie sich bemühen.”
“Schon gut, ich verstehe Sie.”
“Und ich verstehe jetzt, wieso Sie vorhin so schlecht ausgesehen haben”, versicherte er. “Wie geht es weiter?”
“Eine Transfusion – morgen früh”, erklärte Beth. “Wir werden sehen, ob sie hilft.”
Mack nickte und hielt ihr die Hand hin. “Begleiten Sie mich zu Tony?”
“Ich wollte auch gerade zu ihm”, erwiderte sie und griff nach seiner Hand.
“Dr. Beth ist wirklich hübsch, finden Sie nicht auch, Mack?”, fragte Tony.
Mack dachte nicht daran, sich mit noch einem Kuppler herumzuschlagen. Stattdessen reichte er dem Jungen die Comics, die er ihm mitgebracht hatte. “Sieh dir das an. Ich hatte keine Ahnung, dass es so viele neue Superhelden gibt.”
“Sie haben nicht geantwortet, Mack”, fuhr Tony hartnäckig fort. “Finden Sie nicht auch, dass Dr. Beth hübsch ist?”
Mack seufzte. “Ja, das ist sie.”
“Sie sollten sie einladen. Ich wette, sie nimmt an. Oder hat sie schon abgelehnt? Haben Sie vielleicht etwas gesagt, was sie geärgert hat?”
“Nein, mein Junge, ich habe es mir mit ihr nicht verdorben, aber sie ist sehr beschäftigt.”
“Das weiß ich, und darum sollte sie ausgehen, damit sie auf andere Gedanken kommt. Manchmal ist sie echt traurig.”
“Das ist mir auch aufgefallen.” Schon seit Tagen fragte sich Mack, wie Beth das alles durchhielt. Auf dem Weg zu Tonys Zimmer war sie über Funk gerufen worden und darauf hastig zu einem anderen Patienten gelaufen. Er hoffte allerdings, sie würde nachkommen. “Wie geht es dir denn, Kumpel?”, erkundigte er sich, weil Tony sehr erschöpft wirkte.
“Ich bin müde”, gestand der Junge.
Für gewöhnlich gab Tony so etwas nicht zu.
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