Nur ein Liebestraum am Mittelmeer
dass sie zu dem gestreiften Top eine lange Hose angezogen hatte. Wann immer Raoul den Blick über sie schweifen ließ, fühlte sie sich entsetzlich schutzlos und verletzlich.
Kaum hatte sie den Skizzenblock in die Tasche zurückgeschoben und diese auf den Boden gestellt, setzte sich Raoul hinters Steuer. Als sie sich gerade anschnallte, kam er ihr zuvor und umarmte sie unvermittelt.
Warm spürte sie seine frisch rasierte Wange an ihrer und atmete den frischen Duft seines Aftershaves ein. Sie ahnte, dass er sie küssen wollte, und barg das Gesicht im weichen Stoff seines Shirts.
Zärtlich biss er ihr ins Ohrläppchen. „Du weißt, dass wir dies wollen, seit wir uns gesehen haben. Warum so verschämt, Laura?“
Ja, er hatte recht, sich jedoch falsch ausgedrückt. In dem Adjektiv schwang nämlich für sie auch die Bedeutung mit, dass man ein Spiel spielte. Dass man kokettierend vorgab, schüchtern zu sein. Mit seiner Wortwahl hatte er sie, sicher unabsichtlich, blitzschnell wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt.
Sie hob den Kopf und schaute ihn an. „Das stimmt“, meinte sie spöttisch. „Bei einer Frau wie mir erwartest du Frivolität und Freizügigkeit. Ich fürchte, damit kann ich heute nicht mehr dienen.“
Kritisch blickte er sie an. „Warum finden wir es nicht heraus?“
Schon presste er seinen Mund auf ihren und küsste sie besitzergreifend. Laura spürte, wie ihr Verlangen erwachte und mit jeder Sekunde größer wurde. Sie war auf dem besten Weg, die Kontrolle über sich zu verlieren. Wie kann dies so schnell passieren?, dachte sie voller Angst und versuchte, auf Abstand zu gehen.
„Das war ein interessantes Experiment“, sagte Raoul leise an ihren Lippen, bevor er sie aus seiner Umarmung entließ. „Da frage ich mich doch, ob du bei anderen Männern genauso stürmisch bist … Zum Beispiel bei meinem Bruder.“
Laura fuhr im Sitz hoch und war so geschockt, dass ihr einen Moment die Worte fehlten. „Ich habe gewusst, dass du mir misstraust, Raoul. Aber willst du mir erzählen, dass du mich umarmt und geküsst hast, während du gleichzeitig glaubtest, Guy und ich hätten etwas miteinander?“
Er zuckte nicht mit der Wimper. „Du ahnst nicht, wie sehr ich mir gewünscht habe, dass es nicht so ist.“
„Doch, und du glaubst es immer noch?“
„Laura …“
„Das tust du!“
Raoul schüttelte den Kopf. „Mir ist klar, dass Guy Trost bei dir sucht. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.“
„Trost zu suchen oder eine sexuelle Beziehung mit jemandem zu haben ist ein himmelweiter Unterschied.“
„Oder auch zwei Seiten ein und derselben Medaille.“
„Das stimmt, wenn man sich liebt. Aber Guy liebt Chantelle.“
„Sie will ihn nicht mehr.“
„Also nimmst du an, dass er sich mir zugewandt hat?“ Laura fühlte sich zutiefst verletzt. „Ich möchte zurück in die Villa. Ist das zu viel verlangt, oder soll ich einfach aussteigen und zu Fuß hingehen?“
Wortlos ließ er den Motor an und lenkte den Wagen vom Parkplatz auf die Straße. Auf der ganzen Rückfahrt herrschte Schweigen, was Laura nur recht war. Sie hatte es gründlich satt, ihm Rede und Antwort zu stehen.
Sobald sie die Villa erreicht hatten und er das Auto anhielt, wollte sie die Tür öffnen. Doch offenbar hatte er die Zentralverriegelung aktiviert.
Ärgerlich sah sie sich um und bemerkte, dass er entspannt im Sitz lehnte. Nein, sie würde sich nicht täuschen lassen. Er konnte bei der geringsten Provokation wieder gemein werden.
„Da wir beide nun die Gelegenheit hatten, uns zu beruhigen, erzählst du mir vielleicht den wahren Grund, warum du Guys Einladung angenommen hast.“
„Ich bin zu müde für ein weiteres Verhör.“
„So ein Pech, denn ich will eine Antwort. Selbst du musst einräumen, dass das Ganze höchst ungewöhnlich ist. Während du angeblich arbeitest, triffst du in Siena auf meinen Bruder. Am nächsten Tag kommst du in sein Haus und avancierst bis zum Abend zur Interimsgesellschafterin seiner Frau.“
„Du wolltest bestimmt ‚höchst verdächtig‘ sagen“, erwiderte sie und setzte sich so hin, dass sie ihn anblicken konnte. „Was es vermutlich ist … wenn man etwas paranoid ist und in verrückten Bahnen denkt. Es ist offensichtlich, dass dich jemand sehr verletzt und für dein Leben gezeichnet hat. Deshalb werde ich auch keine Fragen mehr beantworten. Es wäre sinnlos. Und nun lass mich aussteigen.“
„Ich bin noch nicht fertig mit dir“, meinte Raoul ungerührt.
Lauras Geduld
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