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wollten wir schon früh morgens aufbrechen. Ich wäre um die Mittagszeit zu Hause gewesen und hätte meinen Dienst ordnungsgemäß antreten können.
„ Ach Agnes, tut mir echt leid, dass ich dich nicht direkt erkannt habe. Und es tut mir auch leid, dass ich es wohl doch nicht schaffen werde. Hier ist so viel passiert, es ist etwas Unvorhergesehenes dazwisch-“ Mitten im Satz unterbricht mich ein erneuter Schrei-Anfall meiner Chefin.
„ Hilda, wenn du deinen unzuverlässigen Arsch nicht in fünf Minuten hierher bewegst, kannst du dir einen neuen Job suchen! Ich lasse mir doch nicht von einer dämlichen Studentin auf der Nase herumtanzen! Weißt du, wie viele Bewerbungen von Schülern und Studenten jeden Tag auf meinem Schreibtisch landen? Meinst du wirklich, es fällt mir schwer, dich zu ersetzen?“ Bevor ich antworten kann, nimmt George mir das Handy aus der Hand.
„ Agens, Darling, jetzt sperr mal deine teuer angelegten Öhrchen auf und hör mir gut zu.“ Er spricht sehr gestelzt und sehr langsam, dehnt und betont die einzelnen Silben, es ist zum Schreien. Ich stelle mir Agnes‘ Gesicht vor, wie sie an ihrem Schreibtisch sitzt und ihr der Mund offen steht.
„ Hilda kündigt, und zwar mit sofortiger Wirkung. Sie hat es nämlich nicht nötig, für jemanden wie dich zu arbeiten. Du solltest dir mal überlegen, wie man mit zuverlässigem Personal umgeht. In der gesamten Zeit, die Hilda für dich geschuftet hat, hat sie nicht einmal gefehlt. Aber Menschen wie du leiden öfter unter Realitätsverlust. Wenn du dich schon für eine reiche Erbin hältst, dann solltest du in den nächsten Tagen mal einen aufmerksamen Blick in die Zeitung werfen, du wirst überrascht sein.“ Nach dieser Predigt drückt George das Gespräch einfach weg, ohne auf eine Erwiderung von Agnes zu warten.
Okay, den Job bin ich dann mit Sicherheit los. Er gibt mir das Handy zurück, zwinkert mir zu und lacht. „Sorry, Honey, aber der blöden Kuh wollte ich schon längst mal die Meinung gesagt haben.“
„ Schon in Ordnung“, murmele ich, „aber wovon soll ich in Zukunft meine Miete zahlen?!“ Vorwurfsvoll blicke ich ihn an.
„ Hilda, raffst du das nicht? Du bist reich! Dir gehört der Schatz der Nibelungen! Du bist reicher als Paris Hilton!“ Florian packt mich an den Schultern und schüttelt mich voller Begeisterung durch.
„ Quatsch, der Schatz gehört doch nicht mir?“, sage ich, doch als ich die Worte ausspreche, merke ich selbst, dass es sich wie eine Frage anhört.
Nun richten sich alle Blicke auf Markus, der sieht verlegen zu Boden.
Ich vermute, diese Situation würde auch den besten Juristen ins Schwitzen bringen. Wem gehört der Schatz? Ich habe den Armreif und damit den Schlüssel vererbt bekommen, bin also vielleicht am ehesten erbberechtigt. Aber gilt das auch nach vielen Jahren? Wurde der Armreif wirklich immer innerhalb einer Familie weitervererbt? Vielleicht ging er irgendwann an nicht leiblich verwandte Nachkommen, oder er wurde gestohlen, anderweitig verschenkt, was auch immer. Lässt sich nach Jahrhunderten überhaupt noch feststellen, ob ich tatsächlich eine blutsverwandte Erbin von Kriemhild bin?
Und selbst wenn, Wiesenthal hat den Schatz gefunden, steht ihm nicht mindestens ein Teil davon zu? Aber er hat ihn sich illegal angeeignet. Die Informationen, die ihm geholfen haben, den Schatz zu finden, hat er gestohlen. Kann er überhaupt ein legales Anrecht auf den Schatz haben?
Und wie sieht es mit dem Land, der Gemeinde, der Stadt aus? Die Schatztruhe lag jahrhundertelang auf dem Grund des Rheins nahe der Stadt Worms, gilt als bedeutendster deutscher Schatz, kann er einer Person gehören?
Markus findet als Erster die Worte, um das laut auszusprechen, was uns alle beschäftigt. „Die genauen Besitzverhältnisse werden noch geklärt werden müssen, das kann sich lange hinziehen. Für mich bist du die wahre Erbin der Nibelungen, und ich werde dir nichts streitig machen.“
Er nimmt meine Hand und spricht langsam und konzentriert weiter. George nimmt derweil Florian zur Seite, um uns ein bisschen Privatsphäre zu verschaffen.
„ Hilda, meine Familie ist reich. Selbst wenn ein großer Teil unseres Vermögens eingefroren wird, bleibt mir noch immer mehr, als ich brauche und ausgeben kann. Ich bin abgesichert, ich brauche den Schatz nicht. Aber darum geht es nicht. Der Schatz wurde von uns gefunden, geborgen und aufbewahrt. Aber trotzdem finde ich nicht, dass ich auch nur das geringste Anrecht darauf habe.
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