Nur Ein Toter Mehr
»Zwar brauchen neuerdings alle Exekutionen Francos Unterschrift, aber der Zweck heiligt immer noch die Mittel. Wenn du es dir folglich nicht bald überlegst, ist es vorbei mit deinem Heldentum, und du wirst für uns zu einem Kaninchen wie Tausende andere. Und du weißt auch, dass uns niemand aufhalten wird, wenn wir danach hinaus auf die Straße treten, auch wenn der Schuss deutlich zu hören war. Also?«
»Warum überlässt du ihn nicht mir, Aguirre? Ich bin schon ganz außer Form.«
»Nein, ich will!«, brüllt der Dritte, der mit dem Rücken an der Tür lehnt, damit Koldobike, die wütend gegen das Glas hämmert, nicht reinkann. »Ich habe noch nie einen Buchhändler umgelegt, und ich hätte eine Mordslust dazu!«
Was würden Hammett oder Chandler in so einer heiklen Situation tun? Würden sie einen Privatdetektiv wie mich über die Klinge springen lassen, um den Spannungsbogen zu erhalten, und dann einen neuen, fähigeren Ermittler aus dem Hut zaubern?
Der Kerl an der Tür schiebt jetzt den Riegel vor und kommt auf uns zu, in seinen Augen funkelt das Verlangen, dem Kaninchen den Garaus zu machen. Luciano Aguirre reicht ihm die Pistole.
»Nein, ich habe wirklich noch nie einen Buchhändler umgelegt«,sagt der Kerl nachdenklich, während er mir das Rohr wieder an die Stirn presst.
Aguirres Gesicht ist nun dicht vor mir.
»Ihr Basken wisst doch, wie man betet. Also bete. Bete für dein Seelenheil.«
»›Eher will ich sterben als diesen kraftvollen Roman nicht weiterschreiben zu können‹, würden meine Idole an dieser Stelle schreiben«, murmele ich.
Einen Moment lang stutzt Luciano, bevor es aus ihm herausbricht:
»Schreiben? Wer schreibt hier? Du??«
»Ja. Einen Krimi. Der mit euch nun noch authentischer ist.«
Eine Sekunde bevor der andere abdrückt und brüllt: »Das Arschloch macht sich über uns lustig!«, haut Luciano ihm mit einem Fausthieb die Pistole aus der Hand, sodass die Kugel sich irgendwo über mir in ein Regal bohrt.
»Habe ich das eben richtig verstanden?«, will Luciano nun wissen. »Du schreibst einen Krimi? Aber du bist kein Dichter, oder?«
»N-nein«, gebe ich mit zitternden Knien zu.
»Lobeshymnen auf unser Spanien schreibst du also keine. Umso mehr hast du aber anscheinend für diese amerikanischen Juden übrig.«
Ist dieser unerwarteten Wende zu trauen? Erst als Luciano die Pistole vom Boden aufhebt und sie seinem sprachlosen Kumpan ins Halfter zurücksteckt, wage ich zu hoffen, dass es in dieser Nachkriegszeit vielleicht tatsächlich einen Toten weniger geben wird. Zu meiner Überraschung holt Luciano jetzt sogar ein Handtuch aus der Toilette und hält es mir hin.
»Wisch dir die Fresse ab.«
Widerspruchslos tue ich, wie mir befohlen, und als ich das viele Blut sehe, will ich zum Waschbecken, aber meine Beinesind dazu viel zu wackelig. Luciano führt mich zu meinem umgekippten Schreibtischstuhl, stellt ihn wieder auf und schafft es tatsächlich, meinen Körper so zu krümmen, dass ich mich setzen kann. Und dann bringt er mir sogar noch ein weiteres Handtuch, um es gegen das erste, das sich inzwischen wie ein Schwamm vollgesogen hat, auszutauschen. Bestimmt sehe ich wie eine echte, gerade vom Kampf zurückgekehrte Rothaut aus.
»Nur damit eins von vornherein klar ist: Ein Dichter versteht mehr von der Erzählkunst als ein Erzähler von der Dichtkunst. Du bist also ein Schriftsteller. Ein Romanschreiber, genau genommen … Bei uns in der Falange gibt es viele hervorragende Dichter, die in Versform wahre Ruhmeshymnen auf Spanien verfassen … schließlich ist die Doktrin der Falange schon reine Poesie … weitaus mehr als bei den anderen militärischen Organisationen. Ich bin übrigens selbst Poet. Wir sind Feder und Schwert … Womöglich wendest du jetzt ein, dass es unter den Marxisten ebenfalls Dichter gibt. Aber bei unserem Kampf steht unser Geist vor der sozialen Gerechtigkeit. Unsere Feinde sagen uns nach, dass wir etwas zu verändern versuchen, damit sich nichts verändert. Ich sage dir, wer uns so angreift, der hat keinen Sinn für Poesie! Und das sagt dir ein Falangist und Dichter, dem Spanien so manch eine unserer herrlich patriotischen Hymnen zu verdanken hat, ohne die wir genauso dumm dastünden wie ohne Kanonen; ja, ich bin ein Falangist, der den Krieg gewonnen hat und seit Jahren alles für den sozialen Frieden tut – der jedoch bedauerlicherweise … mit dem Schreiben von … Romanen seine Schwierigkeiten hat. Was ausgerechnet dir, einem simplen
Weitere Kostenlose Bücher