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Nur Ein Toter Mehr

Nur Ein Toter Mehr

Titel: Nur Ein Toter Mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramiro Pinilla
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wirklich gut.«
    »Weich mir nicht aus: Hattest du mit dem Schreiben schon angefangen oder nicht?«
    »Ja, hatte ich.«
    »Und wann hast du das gemacht? Ich habe nie irgendwo beschriebene Blätter rumliegen gesehen.«
    »Natürlich habe ich geschrieben. Nur war diesmal alles anders: Die Wirklichkeit und das Schreiben waren ein und dasselbe.«
    Mit Mühe versucht sie sich eine weitere Frage zu verkneifen, doch ihr Temperament gewinnt die Oberhand.
    »Die Seiten, die du schon geschrieben hast, wirst du aber nicht im Ofen verfeuern, oder? Ich an deiner Stelle würdedas auf keinen Fall tun. Vielleicht setzt du dich ja doch noch mal dran … Nein, nicht vielleicht: bestimmt!«
    Ich bleibe ihr die Antwort schuldig, denn wie soll sie das auch verstehen: Das Gelebte hat sich unauslöschlich in mein Gedächtnis eingebrannt.
     
    Kurz nach halb acht macht Koldobike Feierabend. Jeder von uns hat sich um sein Revier gekümmert: Koldobike hat noch einige Bücher umgestellt und die Kunden bedient – von dem Dutzend, die den Laden betreten haben, hat ihn die Hälfte mit leeren Händen verlassen –, und ich habe derweil an meinem Tisch über meinen Projekten gebrütet. Seit dem Tod unseres Vaters haben meine Schwester und ich die Miete zu zahlen und unsere kleine Familie zu ernähren, da muss eine so praktisch veranlagte Frau wie Koldobike eigentlich verstehen, dass ich nicht … Plötzlich dringt zusammen mit dem Türglöckchen ihr spitzer Schrei an mein Ohr, und als ich aufblicke, sehe ich, wie sie einer der drei hereinstürmenden Männer packt.
    »Er hat damit aufgehört!«, schreit sie. »Er hat wirklich aufgehört, ich schwör’s, lasst ihn in Ruhe!«
    Gerade sehe ich noch eine Faust auf mich zukommen, als ich auch schon mit dem Stuhl nach hinten kippe.
    »Wir haben dich gewarnt, Bordaberri. Wir haben dich wirklich gewarnt.«
    Am Boden winde ich mich wie ein Aal in dem vergeblichen Versuch, meinen Körper irgendwie gegen die Tritte zu schützen, die zwei kundige Stiefel – nicht die von einem, sondern von zwei Männern – mir in den Bauch und meine Eingeweide versetzen.
    »Das kommt davon, wenn man so ein Dickschädel ist. Du weißt doch, dass ausschließlich wir hier für Recht und Ordnung sorgen.«
    Luciano Aguirres säuselnde Stimme. Aber wo ist Koldobike? Ich höre sie nicht mehr schreien. Was haben sie mit ihr gemacht?! Hinter den schwarzen Schatten, die um mich herumtänzeln auf der Suche nach Körperteilen, in die sie mich noch nicht getreten haben, erahne ich den Dritten und erinnere mich dann vage an das Zuschlagen der Tür, nachdem er Koldobike wohl auf die Straße gezerrt hat; die Kerle wissen, dass in diesen Zeiten niemand unüberlegt Hilfe holt.
    Plötzlich stellen mich vier Hände wieder auf die Beine – doch nur, damit mir einer von ihnen noch ein Knie in die Magengrube rammen kann. Sie müssen mich stützen, damit ich nicht zusammensacke.
    »Sickert dir langsam ins Hirn, dass du das Herumschnüffeln in Zukunft gefälligst unterlassen sollst, du Scheißbaske?« An meinem rechten Nasenloch, das sich feucht anfühlt, habe ich auf einmal eine Pistole. »Oder braucht’s das hier dazu?«
    Ich wundere mich, dass ich keine Schmerzen verspüre. Bin ich von den Tritten und Hieben schon so durcheinander, oder habe ich so eine ähnliche Szene tatsächlich schon mal irgendwo gelesen?
    »Hast du genug?« Das ist die Stimme des anderen.
    »Antworte!« Erneut Luciano Aguirre. »Du musst wissen, wir machen so was nur äußerst ungern, aber manchmal kann man die Ordnung nicht anders wiederherstellen. Also, wie lautet deine Antwort? War’s das mit der Schnüffelei?«
    »Darüber muss ich erst noch nachdenken.«
    War das tatsächlich meine Stimme, die ihm so kühl und lässig geantwortet hat? Koldobike hätte jedenfalls vor Entsetzen die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Wo bleiben bloß die Fäuste? Haben die Dreckskerle müde Arme? Anders der Finger am Abzug … Das kalte Eisen brennt mir jetzt an der Schläfe, und Luciano Aguirres Stimmeklingt nun ebenfalls metallisch und gar nicht mehr wie er, sondern wie einer von Hammetts Ganoven.
    »Nur ein ›Ich hör auf‹, und du hast deine Haut gerettet.«
    Wieder die Stimme des anderen. »So langsam geht uns die Geduld aus, Buchhändler.«
    »Weißt du, dass du ein Schweineglück hast? Normalerweise geht uns das Gestammel eines Roten nämlich am Arsch vorbei: Ein Schuss, und ab in den Straßengraben.« Sie spielen mit mir, glauben zu wissen, was ich antworten werde.

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