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Nur Ein Toter Mehr

Nur Ein Toter Mehr

Titel: Nur Ein Toter Mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramiro Pinilla
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Knochen, doch das war ja auch noch vor dem Krieg. Kein Lehrer kann von sich behaupten, ehrenhaft und gerecht zu sein, wenn er das seinen Schülern nicht demonstriert. Don Manuel hat es uns vorgelebt.
    »Möchten Sie Platz nehmen?«
    Er möchte nicht. Wie ein großer Bruder legt er mir wortlos den Arm um die Schulter und führt mich hinter die Stellwand. Und auch hier setzt er sich nicht.
    »Wie geht’s deiner Mutter und deiner Schwester?«
    »Gut. Und Ihnen?«
    Er beschränkt sich darauf, zu husten, und rückt dann endlich mit der Sprache heraus.
    »Mir ist zu Ohren gekommen, dass du den Fall der Altube-Zwillinge noch einmal aufrollst, und ich konnte das kaum glauben: Du bist weder mit ihnen verwandt noch irgendwie näher bekannt, oder?«
    Ich schüttele den Kopf so heftig, wie es mein Zustand zulässt, doch er redet schon weiter.
    »Nein, nein, ich kritisiere dich nicht, ich wundere mich nur. Und ich finde das sogar richtig gut. Wir machen gerade schlimme Zeiten durch, uns Basken ging es kaum jemals schlechter. Sie demütigen uns, stellen uns an die Wand, machen uns mundtot und verbieten uns sogar unsere Sprache; ein Wunder, dass sie selbst noch nicht draufgekommen sind, den Mörder von Roque Altubes Sohn zu suchen. Nicht, weiles für sie auf einen Toten mehr oder weniger ankommt. Nein, sondern weil es sich dabei um einen Mord aus der Zeit vor dem Krieg handelt, bevor sie hier aufgetaucht sind. Weißt du, worauf ich hinauswill? … Nein? Also, der Mörder lebt hier mitten unter uns, doch wer ist es? Und hier wird es kritisch: Denn Francos Anhänger vermuten sicher, ein Baske. Aber ich sage dir, es kann kein Baske gewesen sein, auch wenn hier in Getxo vornehmlich Basken leben. Nein, es kommt nur einer der wenigen Auswärtigen infrage. Und weißt du, warum? Weil wir Basken keine Mörder sind, Sancho, und schon gar keine so niederträchtigen.«
    Völlig perplex starre ich ihn an. Aber Don Manuels Miene ist anzusehen, dass er es ernst meint.
    »Also …«, beginne ich vorsichtig, »also auf der Basis einer einfachen arithmetischen Rechnung besteht aber durchaus die Wahrscheinlichkeit, dass …«
    »Papperlapapp!«, fällt er mir ins Wort, ganz besessen von seiner fixen Idee. »Hier braucht es keine Wahrscheinlichkeitsrechnung, sondern ein sicheres Gespür dafür, wer wir sind.«
    Ich muss wohl etwas deutlicher werden: »Ihnen zufolge dürfte ich also nur jemanden verdächtigen, der nicht baskischer Abstammung ist.«
    Da merkt Don Manuel endlich, dass er in seinem patriotischen Eifer zu weit gegangen ist. Auf einmal ist in seiner Hand ein weißes Taschentuch zu sehen, mit dem er sich geräuschvoll schnäuzt und das er danach langsam wieder in seine Hosentasche gleiten lässt.
    »Ich wundere mich einfach nur, Sancho, dass sie dir nicht zuvorgekommen sind«, sagt er dann, »so eine großartige Gelegenheit bietet sich ihnen schließlich nicht alle Tage: Basken, die sich gegenseitig umbringen, das ist doch ein gefundenes Fressen für sie!« Kurz hält er inne, um sich wiederetwas zu beruhigen. »Zum Glück wirst du das mit deinen Nachforschungen wieder ins rechte Licht rücken. Bloß: Wieso tust du das?« Er seufzt. »Na ja, wahrscheinlich nicht, damit sie endlich aufhören, Unwahres über uns Basken zu verbreiten …«
    Anderen habe ich auch meine Gründe dargelegt, warum also nicht auch ihm? Als mein ehemaliger Lehrer wird er sie vielleicht noch am ehesten verstehen.
    »Ich schreibe einen Roman zu diesem Fall.«
    »Du …« Er braucht eine Weile, bis der Groschen bei ihm fällt. »Du schreibst? … Ja, natürlich, ich erinnere mich, du hast im Aufsatz immer gute Noten gehabt, das Schreiben lag dir, und du hattest auch eine schöne Schrift. Und für die Literaturinterpretationen hattest du ebenfalls gute Einfälle, ja, da hast du wirklich geglänzt.«
    »Einfälle sind eigentlich genau das, woran es mir mangelt.«
    Es hat ihn noch nie gestört, wenn wir ihm widersprochen haben, als guter Lehrer weiß er aber natürlich Rat:
    »Dann lass dich einfach von der normativen Kraft des Faktischen leiten, so schreibt sich dein Roman fast von allein … Aber sag, hast du nicht schon früher geschrieben? Wenn ich mich recht erinnere, hast du mir mal einen Roman zu lesen gegeben. Ein paar Abenteuerromane und … wie nennt man die noch? … ah ja, Krimis, also ein paar solcher Geschichten hatte ich seinerzeit schon gelesen, aber dein Roman hat mich ziemlich gelangweilt, und ich habe dir das auch ohne Umschweife gesagt. Was ist daraus

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