Nur eine Nacht voll Zärtlichkeit
jedes Mal stolz wie eine Königin sein darf, wenn du etwas Neues lernst.”
Sam lächelte, verdrehte aber die Augen. “Oh Mann. Das wird peinlich.”
“Darauf kannst du wetten”, sagte Jamie fröhlich.
Annie stand auf. “Das wäre es dann für heute. Mach deine Übungen, und wir sehen uns am nächsten Montag nach der Schule. Okay, Sam?”
Er nickte und hatte seine Aufmerksamkeit schon wieder auf das Notenheft gerichtet. “Bis dann, Miss Stewart.”
Jamie ging mit Annie aus dem Zimmer. “Möchtest du einen Kaffee mit mir trinken, Annie?” Sie waren schnell zum freundschaftlichen Du übergegangen, nachdem sie sich ein paarmal gesehen hatten und aufrichtig mochten.
“Oh ja, sehr gern.”
Jamie führte sie in die geschmackvoll eingerichtete Küche. Gerade als sie zwei Tassen Kaffee eingeschenkt hatte, gesellte sich die dreijährige Abbie zu ihnen und verlangte Saft. Jamie goss Apfelsaft in eine Babytasse und reichte sie dem blond gelockten Mädchen, bevor sie sich zu Annie an den Tisch setzte. “Sam hat seine erste Stunde offenbar sehr genossen.”
“Er lernt wirklich schnell. Du hattest recht, Jamie. Klavier spielen liegt ihm.”
Jamie strahlte. “Natürlich. Ich merke doch, wenn jemand Talent hat.”
“Ja, das glaube ich auch.” Annie wusste aus Gesprächen, dass Jamie fast zehn Jahre als Schauspielerin in New York gearbeitet hatte, bevor sie als Schauspiellehrerin zurück nach Honoria an die Highschool gegangen war.
Es gab Leute, die überrascht waren, dass die lebhafte Rothaarige Trevor McBride geheiratet hatte, einen konservativen Anwalt und Vater zweier Kinder. Annie hatte die beiden ein paar Mal im Büro zusammen gesehen und sofort die tiefe Liebe zwischen ihnen gespürt, die alle Unterschiede unwichtig machte. Außerdem war es offensichtlich, dass Jamie verrückt nach ihren Stiefkindern war.
“Wo wir gerade von Talent sprechen … Hast du auch schon mal geschauspielert?”
Vorsichtig antwortete Annie: “Nicht seit der Highschool. Warum?”
“Habt ihr auch Musicals aufgeführt?”
“Ja, meistens habe ich jedoch am Klavier gesessen, aber ein paar Gesangsrollen hatte ich auch. Worauf …”
“Hast du dich nie zurück auf die Bühne gesehnt? Den Klang von Applaus vermisst?”
Annie musste lächeln. Offenbar projizierte Jamie da ein bisschen auf sie. “Worauf willst du hinaus?”
“Ich bin in der Theatergruppe von Honoria. Wir haben schon ein paar Stücke inszeniert, aber jetzt wollen wir zum ersten Mal ein Musical versuchen. Möchtest du nicht mitmachen? Für eine Aufführung im Herbst vielleicht?”
Annie wusste gar nicht, ob sie im Herbst noch hier sein würde. So weit hatte sie noch gar nicht geplant. “Es ist so lange her, dass ich das gemacht habe. Und ich weiß nicht, ob ich Zeit dafür habe.”
“Denk darüber nach, ja? Wir würden uns sehr freuen. Im Juni fängt das Vorsprechen an.”
“Ich werde es mir überlegen”, versprach Annie, aber ihr erster Impuls war, abzulehnen. Sie war es ganz zufrieden, nicht im Rampenlicht zu stehen, und nicht sicher, ob sie diese schützende Anonymität aufgeben wollte.
“Wie laufen denn die Arbeiten an deinem Haus?”, fragte Jamie, um das Thema zu wechseln. “Trevor hat erzählt, dass er mit Trent am Dach gearbeitet hat. Hat es was gebracht? Leckt es noch?”
Überrascht fragte Annie: “Dein Mann hat auf meinem Dach gearbeitet?” Davon hörte sie zum ersten Mal.
“Das wusstest du nicht?”
“Nein.” Sie biss sich auf die Lippen.
Jetzt war Jamie überrascht. “Macht es dir etwas aus?”
“Ein bisschen.”
“Warum?”
“Ich habe ihn doch gar nicht dafür bezahlt. Die Abmachung mit seinem Bruder sieht vor, dass ich sein Haus sauber mache und dass er im Austausch dafür Reparaturen an meinem Haus ausführt.”
“Trevor möchte kein Geld dafür, wenn er Freunden hilft. Außerdem reinigst du sein Büro und gibst Sam Klavierstunden.”
“Aber dafür werde ich doch bezahlt. Ich stehe also immer noch in seiner Schuld.”
“Mach dir keine Gedanken, Annie”, sagte Jamie leichthin. “Es ist keine Wohltätigkeit oder so.”
Aber allein die Erwähnung von Wohltätigkeit bereitete Annie Unbehagen. Es war ihr ungemein wichtig, auf eigenen Beinen zu stehen. Daher wollte sie Trevor auch bezahlen, und darum hatte sie auch Trent Geld für den Schaukelstuhl geben wollen. Sie wollte nicht das Gefühl haben, von jemandem abhängig zu sein. Nie wieder.
Jamie ließ ihr keine Zeit zum Nachdenken. “Wie läuft es denn mit Trent?
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