Nur eine Nacht voll Zärtlichkeit
Schrank – er schien sich hier wie zu Hause zu fühlen – und schenkte sich einen Kaffee ein. Aber statt sich zu ihnen zu setzen, lehnte er sich an die Anrichte. Er bemühte sich auch nicht, ein Gespräch in Gang zu bringen, sondern wartete offenbar darauf, dass sie etwas sagten. Aber unter seinem Blick war Annies Kopf wie leer gefegt.
Zum Glück gesellte sich in diesem Moment Sam zu ihnen. “Hi, Onkel Trent. Miss Stewart, ist es in Ordnung, wenn ich das nächste Stück in dem Buch schon anfange?” Er wies auf das Notenheft unter seinem Arm.
Annie nickte. Sie wollte ihn ermutigen, und außerdem war sie froh über die Unterbrechung. “Natürlich, Sam. Zeig mal her. Hier und hier”, sie deutete auf die Noten, “musst du mit der linken Hand spielen, zweiter Finger, und den Rest mit der rechten Hand, zweiter, dritter und vierter Finger. Okay?”
“Okay. Miss Stewart gibt mir Klavierunterricht, Onkel Trent”, sagte Sam stolz. “Ich kann schon zwei Lieder. Soll ich sie dir nachher mal vorspielen?”
“Aber klar.”
“Dann gehe ich jetzt üben.” Sam lief eifrig ins Wohnzimmer.
“Ich hoffe, er wird immer so wild aufs Üben sein wie jetzt”, murmelte Jamie.
Annie lachte. “Ich garantiere dir, dass du ihn irgendwann auch mal ein bisschen treten musst, aber das ist ganz normal bei Kindern. Mein Vater musste mich eine Zeitlang jeden Tag stundenlang überreden, aber das Spielen ganz aufgegeben habe ich nie.”
Trent sah sie jetzt noch aufmerksamer an als vorher. “Du gibst Klavierunterricht?” Auch er duzte Annie jetzt.
Sie versuchte, ruhig und leichthin zu antworten. “Sam ist im Moment mein einziger Schüler. Aber ich hatte schon ein bisschen Unterrichtserfahrung.”
“Annie hat ein Diplom in Musik”, verkündete Jamie und schenkte sich Kaffee nach.
Annie wünschte, sie hätte Trevor nie davon erzählt. Es war ihr einfach herausgerutscht, als sie letzte Woche kurz geplaudert hatten, bevor sie an die Arbeit gegangen war. Trevor hatte erzählt, dass sie verzweifelt auf der Suche nach einem Klavierlehrer für Sam seien, woraufhin sie ihm spontan erzählt hatte, dass sie am College Musik studiert und auch schon Klavierunterricht gegeben habe. Dass sie es damals nicht wegen des Geldes, sondern aus Freude am Arbeiten mit Kindern getan hatte, hatte sie glücklicherweise nicht auch noch preisgegeben.
Heute hatte sie herausgefunden, dass sie es genauso genoss, wenn sie für diese Arbeit bezahlt wurde.
“Ein Diplom?” Trent klang skeptisch.
Sie nickte und wappnete sich für die unvermeidlichen Fragen, die auch prompt folgten.
“Warum arbeitest du dann als Putzfrau?”
“Trent!” Auch wenn Jamie selbst selten ein Blatt vor den Mund nahm, schien ihr diese Frage doch etwas zu persönlich.
Doch Annie winkte ab und antwortete offen: “Ein Diplom in Musik ist nicht besonders lukrativ. Aber für Haushaltshilfen scheint immer Bedarf zu bestehen, und mir macht es nichts aus zu putzen. Ich bin dabei unabhängig und verdiene auch was. Von daher war es einfach naheliegend, als ich hierher zog und das Haus meines Onkels übernahm. Ich gebe auch gern Klavierstunden und würde gern mehr Schüler haben, aber in erster Linie will ich jetzt den Reinigungsservice aufbauen.”
“Was hat dich eigentlich dazu bewogen, dich hier niederzulassen, Annie?” Jamie schien ebenso neugierig wie Trent zu sein, auch wenn sie es taktvoller anging. “War dein Großonkel dein einziger Verwandter?”
Annie wollte nicht über die Beziehung zu ihren Eltern sprechen und überhörte daher die zweite Frage. “Um die Wahrheit zu sagen, ich wollte sowieso einen neuen Anfang machen. Und die Erbschaft kam mir da sehr gelegen. Als ich das Haus und die Stadt sah, war ich begeistert. Honoria ist so hübsch und so friedlich, genau das, was ich wollte. Jeder hier ist freundlich zu mir. Und jetzt, wo ich einen größeren Kundenstamm habe, werde ich wohl noch ein Weilchen bleiben.”
Jamie lächelte. “Ich weiß, wie es ist, neu anzufangen. So ging es mir auch, als ich aus New York wieder hierher kam, um zu unterrichten. Natürlich hatte ich keine Ahnung, wie sehr sich mein Leben tatsächlich verändern würde. Ich kam als Single zurück, und jetzt habe ich einen Mann, zwei Kinder, Nichten und Neffen, und noch eine Menge mehr Verwandtschaft”, fügte sie hinzu und klopfte Trent dabei freundschaftlich auf den Rücken.
Ihr Schwager sah sie nur kurz an und stellte seine Tasse in die Spüle. “Danke für den Kaffee, Jamie. Sag Sam, ich
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