Nur eine Nacht voll Zärtlichkeit
ihn noch immer für den attraktivsten und interessantesten Mann, den sie je getroffen hatte. Ein Mann, dem eine Frau nicht widerstehen könnte, wenn er es darauf anlegte.
Dieser Gedanke ließ Annie fassungslos auf den Schaukelstuhl sinken. Sie war hierher gekommen, um unabhängig zu sein! Sie hatte eine Verlobung mit einem Mann gelöst, der über sie bestimmen wollte, der sie manipuliert und kontrolliert hatte, so wie ihr Vater es immer getan hatte. Seitdem hatte sie, was Männer betraf, kein Vertrauen mehr in ihr Urteilsvermögen.
Sie erinnerte sich an den Streit mit ihrem Vater, als sie ihm an ihrem Geburtstag ihre Trennung von Preston mitgeteilt hatte. Sie hatte gewusst, dass er die Verlobung guthieß, aber wie sehr er sich darauf verlassen hatte, war ihr erst an dem Tag wirklich klar geworden. Preston sei der Sohn, den er sich immer gewünscht habe, hatte ihr Vater gesagt und ihr damit deutlich gemacht, dass ihre jahrelange Mühe, seine Anerkennung zu erlangen, vergeudet war. Ja, sie sei ganz hübsch, aber sie würde nie auf eigenen Füßen stehen können. Sie sei an Luxus gewöhnt und an Leute, die sich um sie kümmerten. Und wie, bitte schön, wolle sie für sich sorgen mit diesem lächerlichen Musikdiplom?
“Wenn es sein muss, gehe ich putzen”, hatte sie entgegnet. “Wenigstens treffe ich dann meine eigenen Entscheidungen. Ich bin es satt, deine Marionette zu sein. Nichts, was ich getan habe, hat dir je gefallen. Und ich werde nicht den Rest meines Lebens mit einem Mann verbringen, den ich nicht liebe, nur damit du einen Ersatzsohn hast!”
Jahrelang hatte sich das alles in ihr aufgestaut gehabt. Mehr als einmal hatte sie versucht, auszubrechen, aber immer wieder hatte sie sich erweichen lassen – von den Tränen ihrer Mutter oder den Drohungen ihres Vaters. Doch an dem Tag war es anders gewesen.
Sie musste sich beweisen, dass sie es allein schaffte. Und das hieß, dass sie erst einmal keine Beziehung einging – schon gar nicht mit einem Mann wie Trent McBride.
5. KAPITEL
Der eine Nachmittag mit Trent war für Annie die letzte Freizeit gewesen in den nächsten zwei Wochen. Sie stürzte sich voller Elan in die Arbeit, einerseits wegen des Geldes, andererseits aber auch, um sich von ihren Zukunftsängsten abzulenken. Sie nahm drei weitere Klavierschüler an und gewann zwei neue Kunden für ihren Reinigungsservice. An manchen Tagen arbeitete sie von sieben Uhr morgens bis acht Uhr abends. Das Putzen machte ihr nichts aus, außer bei einer Kundin namens April Penny, die einfach nicht zufrieden zu stellen war und die beleidigt war, wenn sie sich weigerte, Persönliches über ihre anderen Kunden mit ihr auszutauschen.
Am besten gefielen Annie die Klavierstunden. Aber leider konnte sie mit nur vier Schülern keine alleinige Einnahmequelle daraus machen.
Wenn sie nachts total erschöpft im Bett lag, fragte sie sich oft, warum sie das alles tat. Sie musste doch nicht dermaßen hart arbeiten, es gab für sie doch auch andere Möglichkeiten. Aber jede von ihnen hätte bedeutet, zuzugeben, dass sie es allein nicht schaffte. Und sie hatte sich geschworen, das niemals zu tun.
Annie hatte erwartet gehabt, dass zwischen Trent und ihr eine etwas seltsame Stimmung herrschen würde, als sie zum ersten Mal nach jenem Nachmittag bei ihr wieder zu ihm gefahren war. Aber es schien sich nichts geändert zu haben. Er hatte sie höflich empfangen, auf ihre Frage nach seinem Rücken geantwortet, es ginge ihm gut und ohne weitere Worte wie üblich das Haus verlassen. Als sie abends nach Hause gekommen war, hatte Trent ihr Fenster repariert gehabt und ihre Küchenstühle waren geleimt. Wie anstrengend es für ihn auch sein mochte, offenbar war er entschlossen, seinen Teil der Abmachung zu erfüllen.
Das konnte sie ihm schlecht vorwerfen, wo sie doch so gut verstand, dass er sich vor ihr beweisen wollte.
Zu ihrem Erstaunen traf sie ihn heute, zwei Wochen nach seinem Unfall in ihrem Haus, in der Kanzlei seines Vaters an. Sie war spät dran, und es war sonst niemand mehr da.
“Was tust du denn hier?”, fragte sie neugierig, als sie ihn mit einem Maßband hantieren sah.
“Mein Vater und Trevor wollen die Räume umgestalten. Neue Teppiche, Möbel und Schränke. Trevor möchte, dass ich die Einbauschränke mache.”
“Dein Bruder nimmt nur das Beste.”
Überrascht sah sie, dass ihr Kompliment ihn verlegen machte. “Ich habe versucht, ihn zu einem Fachmann zu schicken, aber er denkt wohl, dass niemand anders seinen
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