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Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Titel: Nur eine Ohrfeige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christos Tsiolkas
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Valium für den langwierigen Heimflug zu.
    Die Beerdigung fand am Tag nach ihrer Ankunft in Perth statt. Ihre Mutter nahm nicht daran teil, und um sie zu ärgern, blieb Rosie eine Woche bei Eddie, ertrug die leeren Pizzaschachteln, die verdreckte Toilette, das verschimmelte Bad. Dann mietete sie ein Auto und fuhr einmal quer durch Australien nach Melbourne. Sie wollte das Land spüren, eintauchen in dieses unermessliche Gemälde aus Himmel, Wüste und Erde. Sie fuhr in Zehn-Stunden-Etappen, sah nichts als verbranntes Buschland und das endlose blaue Firmament, machte an abgelegenen Tankstellen halt und versuchte, in der nächtlichen Eiseskälte dieses einsamen Landstrichs Schlaf zu finden. Als sie nach Port Augusta kam, sich in ein billiges Café setzte, lapprigen Hamburger aß und den abgestumpften Blicken der Aborigines auswich, hatte sie das Gefühl, die acht Jahre in Europa hinter sich gelassen zu haben.
    In Melbourne wohnte sie zuerst bei Aisha und Hector, wechselte der gerade erst geborenen Melissa die Windeln, arbeitete als Sekretärin für eine Bekleidungsfirma in Fitzroy und fand schließlich eine Wohnung in Collingwood. Zwei Monate später lernte sie Gary bei einer Vernissage in Richmond kennen. Er hatte als Einziger den Mumm, die Arbeiten des ausstellenden Künstlers als hoffnungslos überholten postmodernen Schwachsinn zu bezeichnen. Damals trug er einen grauen Anzug aus Wolle, eine schmale schwarze Krawatte und blassrote Hosenträger aus einem Secondhandladen in Footscray. Er war ihr sofort aufgefallen, noch bevor eranfing, den Künstler zu beleidigen, weil außer ihm sonst niemand so gut angezogen war. Aber im Gegensatz zu Eric war Gary die Eleganz nicht in die Wiege gelegt worden. Er hatte seinen eigenen Stil. Dass er nicht so gut aussah wie Eric, war egal. Er hatte ausgeprägte, extravagante Züge, ein markantes Kinn, hohe Wangenknochen, ausdrucksvolle Augen. Sie fand ihn aufregend, aber er strahlte auch etwas Bedrohliches aus. Ehrlichkeit ging ihm über alles. Eric war ganz anders gewesen: Sein Charme, den sie von ihrem Vater kannte, und seine Höflichkeit, ein Wesenszug ihrer Mutter, waren Qualitäten, die die Wahrheit verbargen.
    Sie war direkt auf Gary zugegangen und hatte gesagt, sie fände es dem Künstler gegenüber nicht fair, eine Vernissage sei zum Feiern da und nicht, um Kritik zu üben. Er hatte sich darüber lustig gemacht – hatte er sie da nicht zum ersten Mal
bourgeois
genannt? –, aber sie hatten beide gelächelt. Dann hatte er sie nach ihrer Telefonnummer gefragt und gleich am nächsten Tag angerufen. An jenem Freitagabend ging er mit ihr essen und begeisterte sie mit seinen Theorien über Musik, Film und Kunst und darüber, wie die Evolutionspsychologie die Dogmen des Feminismus in Frage stellte. Sie fand toll, dass er viel las, aber nie eine Uni besucht hatte, dass er mit sechzehn von der Schule gegangen war, um eine Tischlerlehre zu beginnen, die er dann allerdings aufgab, um in Sydneys Rotlichtviertel
Kings Cross
zu ziehen und sich in einen Bohemien zu verwandeln, der schließlich alle Spuren seines früheren Lebens verwischte. Er erzählte ihr alles. Dass er ein Stricher gewesen war, dass er seine Freundin auf den Strich geschickt hatte, dass er drei vergeudete Jahre auf Heroin gewesen war und mit mehreren tausend Dollar Schulden aus Sydney geflüchtet war. Geblendet von seinen erzählerischen Fähigkeiten, seiner Selbstsicherheit und der Anziehung, die er auf sie ausübte, sagte sie den ganzen Abend über kaum ein Wort. In jener Nacht wäre sie gern mit ihm ins Bett gegangen, lud ihn aber nicht zu sich ein. Er rief am nächsten Tag wieder an, und den Sonntagnachmittag verbrachten sie gemeinsam am Yarra River. Diesmal blieb er über Nacht, undam nächsten Morgen, als er gegangen war und sie sich fertig machte, um zur Arbeit zu fahren, rief sie Aisha an: »Ich bin verliebt.«
    Von Anfang an nahm Gary ihren Freunden gegenüber eine abweisende Haltung ein. Er fand Aisha kalt und Anouk arrogant, aber am meisten hasste er Hectors aufgesetzte Kumpelhaftigkeit. In seinen Augen waren sie alle eingebildet, weshalb Rosie oft anfing, wie ein Wasserfall zu reden, sobald sie zusammen waren, um ja keine Konflikte aufkommen zu lassen. »Diese Leute sind so was von kleinbürgerlich und langweilig«, brüllte Gary, wenn sie nach Hause kamen, »wie hältst du das bloß aus?« Sie verteidigte ihre Freunde, aber insgeheim stellte sie überrascht fest, dass ihr seine Abneigung ein gutes Gefühl

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