Nur eine Ohrfeige (German Edition)
verlieh. Plötzlich empfand sie ihre Freunde als nicht mehr ganz so erfolgreich, selbstsicher, perfekt. Von dem Besuch bei Garys Familie in Sydney erzählte sie Aisha kaum etwas. Auch über ihre Zweifel verlor sie kein Wort. Sie würde ihn heiraten. Sie liebte ihn. Zum Teufel mit den anderen, es war ihr egal, was sie gegen ihn hatten. Am Ende erwiesen sich ihre Freunde als loyal. Anouk kam zur Hochzeit, und Aisha und Hector waren ihre Trauzeugen.
Sie küsste Hugo sanft auf die Wange. Er roch nach Karamell, nach Kind. Hugo wimmerte kurz und drehte sich dann um. Es war ein schlimmer Gedanke, aber sie war froh, dass seine Großväter beide tot waren. Der eine starb schnell, durch die eigene Hand, der andere war langsam am Alkohol zugrunde gegangen. Seine Großmütter hätten genauso gut tot sein können – die eine war eine Säuferin, und die andere weigerte sich zu lieben. Es gab nur Gary, Hugo und sie. Und ihre Freundinnen. Das war alles, was zählte. Das war ihre Familie. Es wird alles gut, mein Schatz, alles wird gut.
Am nächsten Morgen, als sie Gary bewusstlos hinten auf dem Rasen fand, erwähnte keiner von ihnen den Streit. Sie machte für sie beide ein Omelett und für Hugo ein paar Toasts, und dann sahen sie zusammen
Findet Nemo
. Gary brachte seinen Sohn zum Lachen, indem er die Lippen synchron zu Dories bewegte.
Der Gedanke an die bevorstehende Verhandlung ließ sie nicht mehr los. Ihr größter Wunsch war es, dass Hugo von der ganzen Geschichte nichts mitbekam. Sie verpasste dem Haus einen Frühjahrsputz, scheuerte den Ofen, säuberte jede Ecke in jedem Raum von Spinnweben und ordnete die Küchenregale neu. Sie stellte einen Speiseplan für die Woche auf, kaufte auf dem Markt ein und ging mit Hugo jeden zweiten Tag in die Smith Street. An Garys Launen hatte sie sich gewöhnt. Wenn er grüblerisch von der Arbeit nach Hause kam, verhielt sie sich ruhig, bis er sein erstes Bier getrunken hatte und etwas entspannter war. Sie bearbeitete Margaret am Telefon, damit sie einen neuen Termin bei der Rechtshilfe bekam, und obwohl ihre Anwältin ihr lediglich raten konnte, die Ruhe zu bewahren, machte ihr das Mut. Margaret versicherte ihr erneut, Gary und sie täten das Richtige, ein tätlicher Angriff auf ein Kind dürfe nicht ungestraft bleiben. Rosie wünschte, Gary hätte nicht solche Vorbehalte gegen die junge Frau. Er war der Meinung, sie sei unreif und männerfeindlich. Dafür mussten sie für ihre Dienste nichts bezahlen, und Rosie fand, sie sollten dankbar dafür sein.
Auch war sie dankbar für Connies und Richies Unterstützung in diesen Wochen. Während die beiden zusammen oder abwechselnd auf Hugo aufpassten, ging sie zum Yoga oder gönnte sich einen Besuch im Schwimmbad. Obwohl Margaret ihnen erklärt hatte, wie unaufgeregt und bürokratisch so eine Anhörung verlief, gab Rosie sich Tagträumereien hin. Sie stellte sich vor, wie sie auf der Anklagebank saß und voller Leidenschaft und Überzeugungskraft in allen Einzelheiten das Verbrechen schilderte, das dieses Monster begangen hatte. Mit diesen Gedanken im Kopf legte sie jedes Mal fünfzig Bahnen zurück.
Shamira erwies sich ebenfalls als wahre Freundin, sie rief täglich an und kam mit den Kindern vorbei, wenn sie nicht gerade in der Videothek arbeitete. Eines Nachmittags lud Shamira sie ein, mit in einen Park in Northcote zu kommen, wo sich regelmäßig eine Gruppe von Müttern traf, deren Kinder auf dieselbe Schule wieIbby gingen. Rosie wusste es zu schätzen, dass ihre Freundin versuchte, sie abzulenken, fand den Nachmittag aber eher ermüdend. Die anderen Frauen waren alle Musliminnen und hatten, mit Ausnahme von Shamira, arabische oder türkische Eltern. Sie waren sehr aufmerksam und höflich, doch Rosie spürte eine unterschwellige Barriere zwischen sich und diesen Frauen. Das lag nicht unbedingt an ihrer Religion. Nur eine Handvoll von ihnen trug ein Kopftuch. Aber ihr sorgloses Zusammensein, dass sie sich ständig gegenseitig auf die Schippe nahmen und sich so wenig für Rosies Leben, ihre Ehe, ihre Welt interessierten, kotzte sie an. Sie fragte sich, ob Shamira das auch so empfand – würde sie für diese aufgedrehten Hühner immer »das Aussie-Mädchen« sein? Würde sie immer ein Außenseiter bleiben, egal wie oft am Tag sie betete? Rosie beobachtete, wie Hugo versuchte, sich ins Fußballspiel der anderen Jungs einzuklinken. Er kam ihr so anständig vor, so
weiß
. Schweigend sah sie ihrem Sohn zu, der kurze Zeit später wieder
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