Nur eine Ohrfeige (German Edition)
Selbstbeherrschung, aber es reichte, um ihn zur Weißglut zu bringen.
»Du hast uns das eingebrockt.«
Es war die Ungerechtigkeit, die sie wurmte. Was sie in diese Situation gebracht hatte, war ein Fremder, ein Unmensch, der ihrem Kind wehgetan hatte. Gary wusste das, sie war überzeugt davon,dass er das genauso empfand wie sie. Sie war so stolz auf ihn gewesen, als er auf das Schwein losgegangen war, darauf, dass er Hugo sofort und bedingungslos verteidigt hatte. Und als sie dann zur Polizei gehen wollte, war er vollkommen ihrer Meinung gewesen. Hugo war kaum zu beruhigen gewesen, er hatte nicht einschlafen können und sich an ihr festgeklammert wie ein ängstliches Tier. Deswegen hatten sie es getan, um dieses Monster dafür zu bestrafen, was er ihrem Kind angetan hatte. Gary hatte ihr zugestimmt, er war ganz ruhig gewesen, überzeugt davon, dass sie das Richtige taten. Dass dieser Mistkerl nicht ungestraft davonkommen durfte. Sie war froh gewesen, zumal sie wusste, dass Gary, nach allem, was er erlebte hatte, der Polizei gegenüber eher feindlich gesinnt war. Aber das hatte keine Rolle gespielt, er hatte angerufen, und sie war stolz auf ihn gewesen. »Ich bereue nichts davon«, hatte sie hervorgebracht, »kapierst du denn nicht, dass nicht wir schuld sind, sondern dass er es ist, der uns das angetan hat?« Daraufhin hatte Gary geschrien – und zwar so, dass es die ganze Straße hören konnte: »Nein, du hast uns das angetan. Du bist verdammt nochmal schuld daran. Du hättest nicht die Polizei rufen sollen.« Sie versuchte, an ihm vorbeizukommen. Aber er ließ sie nicht durch.
»Du hast sie doch angerufen.«
»Weil du mich dazu gebracht hast«, zischte er. Also versuchte sie, vernünftig mit ihm zu reden. Was ein Fehler war, weil er schon zu betrunken war.
»Nur noch ein paar Wochen, Gary, dann ist alles vorbei.«
»Es ist schon vorbei«, brüllte er zurück. »Es ist passiert, Hugo hat es vergessen.«
»Hat er nicht, er weiß es noch ganz genau.«
»Aber nur, weil du ihn jeden verdammten Tag daran erinnerst. Du bist diejenige, die nicht vergessen kann.« Er flehte sie an: »Belass es dabei, Rosie, belass es einfach dabei.« Ihre Wut kam wieder hoch.
»Wie können wir es dabei belassen? Willst du, dass er ungestraftdavonkommt? Was bist du eigentlich für ein Vater?« Er griff nach ihrem Portemonnaie und zog die letzten Scheine heraus. Sie wollte sie ihm wegreißen, aber er schlug ihre Hand weg. Er ging durch den Flur, er wollte in die Kneipe und würde bis spät nachts dort bleiben. Als sie versuchte, ihn zurückzuhalten, stieß er sie brutal gegen die Wand. »Ich hasse dich.« Kein Brüllen, kein Schreien, nur diese drei Worte, ganz ruhig. Er hatte es ernst gemeint. Dann war er weggegangen, und plötzlich war alles still. Sie war allein.
Nein, nicht allein. Hugo, ihr Hugo, ihr geliebtes Kind. Er hatte sich zu ihr ins Bett gelegt, ihr Gesicht gestreichelt und ihren Kopf getätschelt. Vor Hugo konnte sie ihren Tränen freien Lauf lassen. Hugo kuschelte sich an sie heran, und allmählich beruhigte sie sich wieder.
Sie betrachtete ihren schlafenden Sohn. Jetzt, da er die gespenstisch blassblauen Augen geschlossen hatte, die ihnen gemeinsam waren, sah Rosie vor allem Gary in ihm. Er hatte Garys Kinn, seine Hautfarbe, seine großen, ungleichen Ohren. Er kam so sehr nach seinem Vater, dass sie sich fragte, ob es möglich war, Hugo vor dem Schicksal seiner Vorfahren zu bewahren. Immer häufiger hieß es, Geisteskrankheiten, Alkoholismus und Drogensucht seien genetisch bedingt. Wie konnte sie ihn vor seinem Erbgut beschützen? Der Alkoholismus ihres Vaters war zum Glück nicht angeboren, niemand sonst in seiner Familie war davon betroffen. Dass er trank, war eine Folge unschöner Ereignisse gewesen: Er hatte seinen Job verloren, sein Haus, seine Frau und schließlich seine Kinder. Aber Gary hatte die Krankheit im Blut. Sein Vater war ein Säufer gewesen. Genau wie seine Mutter. Und auch seine Großeltern. Wahrscheinlich bestand die ganze Familie bis zurück in die Kolonialzeit aus Trinkern. Es war fast zum Lachen. Ihr Mann war ein echter Australier. Sie erinnerte sich an ein Gespräch bei einem Abendessen vor mehr als zehn Jahren, als Hector erklärt hatte, die australische Trinkkultur unterscheide sich von allen anderen dadurch,dass sie so extrem war, so wenig gesellig und überwiegend am Kneipentresen stattfand und nicht am Esstisch. Sie war damals rot geworden und wurde es auch jetzt noch jedes Mal, wenn
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