Nur eine Ohrfeige (German Edition)
Al’Anin, einem Archipel von vierhundertsiebzehn Inseln vor der Küste von Kalifornien und Mexiko. Das dritte Buch war randvoll mit Entwürfen für Neu Troja, die Hauptstadt von Priam und eine der schönsten und beeindruckendsten Städte der Welt. Ihr natürlicher Hafen fraß sich tief in die üppige tropische Küste hinein. Die Hafenstadt mit ihren alten, den griechischen Göttern geweihten Tempeln wurde umrahmt von den imposanten Klippen der Poseidons, einer Bergkette, die ins Meer gesunken war und eine mehrere hundert Kilometer lange Steilküste hinterlassen hatte. Hunderte von Metern über der Stadt, auf dem riesigen Plateau, das sich bis zum Horizont erstreckte, standen die Wolkenkratzer, Moscheen, Kirchen und Tempel von Neu Troja, ein schillerndes Durcheinander aus Silicium, Marmor, Beton und Backstein – goldene Spitzen, silberne Minarette und bronzene Kuppeln, die am kobaltblauen Himmel leuchteten.
Richie öffnete das erste Notizbuch und fing an zu schreiben. Priam war der Ort, an den eine Gruppe geschlagener trojanischer Krieger entkommen war. Sie hatten den Kontinent entdeckt, sich mit den stolzen Eingeborenen fortgepflanzt und die neue Welt nach ihrem letzten Herrscher benannt. Sie hatten eine Art Rom erschaffen, aber im Gegensatz zu dessen Gründern waren die Trojaner von Priam mehr als tausend Jahre aus der asiatischen und europäischen Geschichte verschwunden. Das ganze Buch war voll von Geschichten über die Mischehen von Trojanern und Ureinwohnern sowie detaillierten Ausführungen über die einzigartige Fauna und die Kulturpflanzen dieses fruchtbaren Reiches.
Mittlerweile war er an dem Punkt angelangt, an dem die christlichen Entdecker und Siedler nach Priam kamen. Es sollten auf keinen Fall die Spanier sein, so viel wusste er. Wahrscheinlich würde er sich für die Engländer entscheiden müssen, zumal er keine andere Sprache sprach. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, Russen auf der Insel landen zu lassen, aber das stimmte nicht mit demüberein, was er über die europäische Kolonisation gelesen hatte.
Die Renaissance und die Welt
, sein Lieblingskurs in der elften Klasse, bei der recht weltlich eingestellten Mrs. Hadjmichael, die im Winter ein Collingwood-Football-Sweatshirt trug und im Frühling ein Fußballtrikot von Brasilia, hatte ihn auf die Idee gebracht, die Ideale und Werte der Moderne in die abgeschlossene, hierarchische Welt der Neuen Trojaner einzuführen – obwohl er wusste, dass die alte Religion überleben würde; noch im 21. Jahrhundert würde es Neue Trojaner geben, die Zeus, Athene, Poseidon und Artemis huldigten.
Vasili Grigorowitsch D’Estaing, der zum englischen Hof von Königin Elisabeth I. übergelaufene, legendäre Hugenotten-Admiral, war nicht nur dafür berüchtigt, das uneheliche Kind von Iwan dem Schrecklichen zu sein, sondern auch weil es hieß, er habe sich damit gerühmt, an die hundert Geliebte sowie ein Dutzend Lustknaben gehabt zu haben. Er war außerdem, nach Kolumbus und Raleigh, der größte Entdecker der Renaissance, und nicht selten wird behauptet, er sei womöglich bedeutender als beide zusammen gewesen. Mit Sicherheit war er mutiger. Über Jahre hinweg war Grigorowitsch D’Estaing überzeugt von der Existenz eines großen Kontinents im Indischen Ozean, der auch in ägyptischen, nubischen und äthiopischen Legenden erwähnt wurde. Er glaubte, dass die Entdeckung dieses Landes England zu mehr Reichtum und Macht verhelfen würde. Er wollte seiner geliebten Königin eine neue Welt erschließen und die Conquistadores in ihren Geschenken an Ferdinand und Isabella übertreffen. Nach dem Sieg der Engländer über die spanische Armada erhielt Grigorowitsch D’Estaing von Königin Elisabeth die Erlaubnis, eine Expedition ins Herz des Indischen Ozeans anzuführen. Für die Neuen Trojaner eine folgenschwere Entscheidung. Über ein Jahrtausend lang hatten sie sich absichtlich vom Rest der Welt abgeschottet. Nahrungsmittel und Erz waren im Überfluss vorhanden, und Fremde, die durch Zufall oder Missgeschick auf ihrer Insel landeten, wurden augenblicklich versklavt. Die Kinder dieser Abenteurer und Piraten wurden zu Staatsbürgern erklärt. Die wachsende Bevölkerung stellte jedoch eine
zunehmende Last für das Königreich dar. Mehr und mehr wurde der Kaiser von seinem Rat bedrängt, sich dem Welthandel zu öffnen. Inmitten dieser Krise steuerte Grigorowitsch D’Estaing seine Flotte in den Hafen von Neu Troja. Seinen Logbüchern ist zu entnehmen, mit welchem
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