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Nur einen Kuss, Kate!

Nur einen Kuss, Kate!

Titel: Nur einen Kuss, Kate! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gracie
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wie ließ sich das mit dem Anstand verbinden? Um seinen Mund zuckte es. Anstand! Es war schon unanständig genug, dass er sich zusammen mit ihr in einem Schlafzimmer aufhielt. Achselzuckend beugte er sich über sie und tastete vorsichtig nach Korsettschnüren. Erleichtert stellte er fest, dass sie kein Korsett trug. Sie brauchte es nicht und besaß vermutlich gar keines.
    Sorgfältig breitete er warme Decken über sie. Sie bewegte sich unruhig und schob einen Arm heraus. Wieder beugte er sich über sie, und in diesem Moment schlug sie die Augen auf. Erst zwinkerte sie, dann lächelte sie verschlafen und strich ihm liebkosend über die Wange. “Gute Nacht, Jemmy.” Ihre Lider schlossen sich wieder.
    Jack erstarrte, sein Atem stockte. Langsam richtete er sich auf. Er fasste nach der rechten Wange, wo sie ihn berührt hatte. Wie schon unzählige Male zuvor strich er über die hässliche Narbe.
    Er schnitt eine Grimasse und ging hinaus.
    Am nächsten Morgen wurde Kate bei Tagesanbruch von Hufgetrappel geweckt. Sie blickte sich in dem fremden Raum um und versuchte sich zu orientieren. Es war ein großes Zimmer, dessen einst vornehme Einrichtung nun verstaubt und abgenutzt war.
    Sie setzte sich auf, erstaunt, dass sie bis auf ihre Schuhe voll bekleidet war. Wie war sie hierhergelangt? An einiges vom Vorabend konnte sie sich erinnern, doch ergab es keinen Sinn. Es war ein beängstigendes und vertrautes Gefühl.
    Kate hätte schwören mögen, sie hätte vergangene Nacht ihren Bruder Jemmy gesehen. Undeutlich erinnerte sie sich an sein entstelltes Gesicht, das sie eindringlich anblickte. Nur konnte er es nicht sein, da Jemmy in spanischer Erde lag. Sie stand auf und ging in der morgendlichen Kälte fröstelnd ans Fenster.
    Der Ausblick war schön, kahl und öde. Der Boden glitzerte silbern vor Raureif in der Sonne. Nichts rührte sich, bis auf ein paar mutige Vögel, die in der fahlen Morgensonne zwitscherten. Unmittelbar unter ihrem Fenster erstreckte sich eine Rasenfläche, über die Hufspuren verliefen.
    Ihr Blick folgte der Spur, und ihre Augen wurden groß, als sie ein reiterloses Pferd frei dahinsprengen sah. Gesattelt und mit baumelnden Bügeln schien es auf ein kleines Eichenwäldchen zuzuhalten, nachdem es seinem Reiter entkommen war. Sie beneidete das Pferd. Auch sie wäre zu gern draußen in der klaren, frischen Luft auf den Wald zugaloppiert, frei und ungestüm. Wie ihre kleine spanische Stute und ihre Ausritte in aller Herrgottsfrühe ihr fehlten!
    Als Kate sich umdrehte, erhaschte sie im Wandspiegel einen Blick auf sich. Sie sah aus, als hätte man sie rücklings durch einen Heuhaufen geschleift. Ungezügelte braune Locken ringelten sich nach allen Seiten.
Das reinste Zigeunerkind
– wie oft hatte man sie so genannt. Rasch zog sie die Nadeln aus ihrem Haar und machte es auf ihre gewohnte Weise zurecht. Dann strich sie ihr zerdrücktes Kleid glatt und sah sich nach einem Wasserkrug um. Sie konnte keinen entdecken.
    Um das schlafende Haus nicht zu wecken, ging sie ganz leise hinaus und die Treppe hinunter, um die Küche zu suchen. Nirgends eine Menschenseele. In einem Haus dieser Größe hätten um diese Zeit schon viele Dienstboten an der Arbeit sein müssen, um für das Erwachen der Herrschaft gerüstet zu sein.
    Je länger sie Umschau hielt, desto größer wurde ihre Verwunderung. In was für ein Haus hatte Lady Cahill sie gebracht? Unter ihren Füßen knirschte es. Wollmäuse trieben über Fußleisten und unter die Möbelstücke. Die altmodische Einrichtung war mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Die wenigen Fenster, die nicht von verschlissenen Vorhängen verhängt waren, waren so verschmutzt, dass die Morgensonne kaum Einlass fand. Die Spinnweben, die jeden Winkel durchzogen, ließen sie schaudern, da sie Spinnen verabscheute. Alles ließ Vernachlässigung erkennen, obwohl das Haus bewohnt war.
    Dieses heruntergekommene und vor Schmutz starrende Haus entsprach so gar nicht dem Eindruck, den Lady Cahills Auftreten, Kleidung und Dienerschaft bei ihr geweckt hatten. Es war das Haus ihres Enkels. Warum war ihm das noble Leben versagt, das seine Großmutter offenbar selbstverständlich führen konnte? Kate zuckte mit den Achseln. Früher oder später würde das Geheimnis enthüllt werden. Bis dahin aber brauchte sie heißes Wasser und etwas zu essen.
    Schließlich stieß Kate auf die Küche. Angeekelt blickte sie um sich. Der Boden war lange nicht gefegt worden, im Herd brannte kein Feuer, davor lagen kalte

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