Nur einen Kuss, Kate!
doch die blauen Augen blieben geschlossen. Da saß sie nun, wütend und gedemütigt. Sie seufzte. Streiten war sinnlos. Sie würde mitgehen müssen, wo immer man sie hinbrachte. Dann erst würde sie weitersehen. Lady Cahill meinte es gut. Sie konnte ja nicht wissen, wie unangebracht ihre Güte war.
… bis sich ein passender Ehemann für dich findet.
Nein, kein anständiger Mann würde sie nehmen. Nicht einmal der Mann, der behauptet hatte, er liebe sie über alles, wollte sie. Sie starrte hinaus, ohne etwas von der Gegend wahrzunehmen. Sie sah immer nur Harry vor sich, aus dessen Blick Abscheu und Verachtung sprachen.
Harry, den sie geliebt hatte, seit sie zurückdenken konnte. Mit neun Jahren war sie ihm zum ersten Mal begegnet, einem hoch aufgeschossenen, selbstbewussten Sechzehnjährigen, dem besten Freund ihres Bruders Jeremy. Als Kate siebzehn gewesen war, hatte er sie um ihre Hand gebeten, ehe er in den Krieg zog, und hatte sie mit warmen weichen Lippen geküsst.
Doch vor wenigen Monaten hatte ein völlig veränderter Harry sie mit den kalten Augen eines Fremden angestarrt und ihr wie alle anderen den Rücken gekehrt.
Kate biss sich auf die Lippen und versuchte die Aufwallung von Bitterkeit zu unterdrücken. Nein, nie wieder würde sie sich in diese Lage begeben. Es war zu schmerzlich, einen Mann zu lieben, wenn seine Liebe praktisch über Nacht kalter Verachtung weichen konnte.
Als die Kutsche in ein tiefes Schlagloch rumpelte, wurden die Insassen gründlich durchgerüttelt und fassten nach den Haltegriffen. Kate warf Lady Cahill einen Blick zu, doch die alte Dame schwieg und hielt die Augen geschlossen, sie war totenblass unter ihrer Schminke. Kate hing wieder ihren Gedanken nach.
Sie würde also nie heiraten. Na und? Es gab viele Frauen, die nie heirateten und ein glückliches Leben führten. Sie würde eine von ihnen sein. Sie brauchte dazu nur die Gelegenheit, und die wollte sie sich verschaffen. Vielleicht würde Lady Cahill ihr die Möglichkeit eines Anfangs bieten.
Heller Mondschein fiel auf den Weg, als die Reisekutsche in eine lange Zufahrt einbog. Sie führte zu einem großen, düsteren Haus, das die Ankommenden ohne einladende Lichter empfing.
An einem dunklen Fenster im Obergeschoss stand eine schattenhafte Gestalt. Jack Carstairs führte ein Glas an die Lippen. Er war übelster Laune, da er genau wusste, dass seine Großmutter erschöpft sein würde und er sie nicht fortschicken konnte. Und das wusste wiederum sie genau, diese listige alte Despotin, und hatte deshalb ihre Zofe vorausgeschickt, damit diese bis zu ihrer Ankunft alles vorbereitete. Im Gegenzug hatte Jack das Gefolge seiner Großmutter auf ebendiese Zofe reduziert und alle Übrigen im Dorfgasthaus einquartiert, um den Besuch seiner Großmutter, der ihre Bequemlichkeit über alles ging, abzukürzen.
Das Gefährt hielt vor den Eingangsstufen an. Die Haustür öffnete sich, und zwei Bediente, ein Mann und eine Frau, eilten heraus. Ehe der Kutscher absteigen konnte, hatte die Frau das Trittbrett heruntergeklappt und den Wagenschlag aufgerissen. “Endlich, Mylady. Ich war schon in großer Sorge um Sie.”
Lady Cahill, die einen überaus erschöpften Eindruck machte, stand unsicher auf. Kates schlechtes Gewissen regte sich. Die alte Dame vertrug das Reisen nicht gut, doch alle Versuche, es ihr bequem zu machen, waren so brüsk zurückgewiesen worden, dass Kate ihre Reisegefährtin die meiste Zeit ignoriert hatte.
Sie wollte der Zofe behilflich sein, aber sie handelte sich auch von ihr eine Abfuhr ein. “Lassen Sie das”, schnappte die Frau. “Ich kümmere mich um Mylady. Ich weiß, was sie braucht!” Unter leisem Schelten geleitete sie die alte Dame mithilfe des Dieners hinein.
Der Wagen machte einen Ruck, als er wieder anfuhr, und Kate wäre beinahe gestürzt, als sie hastig aussteigen wollte. Sie ging ein paar unsichere Schritte, dann begann sich zu ihrem Entsetzen alles um sie zu drehen, und ihr wurde schwarz vor Augen.
Der Mann, der aus dem Fenster sah, registrierte ihren Sturz gleichmütig und wartete, dass sie aufstand. Zweifellos handelte es sich um eines der Dienstmädchen seiner Großmutter. Jack genehmigte sich noch einen Drink.
Er hatte eine Dummheit begangen, als er seine Schwester nicht empfing, doch war er betrunken gewesen. Noch betrunkener als jetzt. Wie gut, dass seine Großmutter nicht den Wunsch geäußert hatte, ihn noch heute zu sehen. Er hätte sie ebenfalls abgewiesen. Jack fuhr fort, verdrossen
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