Nur einen Kuss, Kate!
eng. Nie hätte sie gedacht, auf so viel Güte zu treffen. Aber sie durfte die Ahnungslosigkeit der alten Dame nicht ausnutzen.
Lady Cahill hatte ihr ein Angebot gemacht, ohne den Grund zu kennen, der Kate daran hinderte, jemals in Gesellschaft zu gehen und zu heiraten, den Grund, weshalb kein anständiger Mann sie zur Frau nehmen würde. Kate musste ihr alles sagen und erklären, selbst auf die Gefahr hin, dass man sie fortschicken würde und sie das Leben aufnehmen musste, mit dem sie sich vor Lady Cahills gut gemeintem Einschreiten abgefunden hatte.
5. KAPITEL
“Lady Cahill”, sagte Kate, “ich danke Ihnen, doch machten Sie mir dieses Angebot, ohne meine Umstände zu kennen. Würde ich es annehmen, wäre mir Ihre Verachtung sicher, sobald Sie die Wahrheit erfahren. Und die Gesellschaft würde Sie verdammen oder für eine Närrin halten, weil sie sich so hinters Licht führen ließen.”
Als Lady Cahill Kates Miene sah, verkniff sie sich eine schneidende Bemerkung darüber, wie gleichgültig ihr die Meinung der Gesellschaft war.
“Darf ich fragen, warum?”
Kate wurde nervös. Sie wollte es Lady Cahill nicht sagen, wollte ihre Zuneigung und ihre Achtung nicht verlieren, doch blieb ihr nichts anderes übrig, da die Geschichte ohnehin einmal herauskommen würde. Es war besser, die Sache hinter sich zu bringen, als in ständiger Angst leben zu müssen.
“Ich bin nicht heiratsfähig”, gestand Kate schließlich.
“Und warum nicht?”
“Das ist eine lange Geschichte. Als meine Brüder Jemmy und Ben nach Spanien in den Krieg zogen, kamen mein Vater und ich mit. Ich habe die letzten drei Jahre bei den Truppen gelebt.”
“Ach, Kind … wie schrecklich!” Lady Cahill machte ein entsetztes Gesicht.
Kate schüttelte den Kopf. “Nein, das war es nicht. Es waren die drei besten Jahre meines Lebens.”
Lady Cahill ließ einen schockierten und ungläubigen Laut folgen, und Kate lächelte wehmütig. “Es stimmt leider – ich war immer ein Wildfang, und das Leben im Feld gefiel mir viel besser als jenes im Pfarrhaus. Ich war nicht einsam, und mein Vater schätzte mich wie nie zuvor.” Sie hielt den Blick auf ihre Hände gerichtet. “Ich hatte immer das Gefühl, dass Papa mir die Schuld am Tod meiner Mutter gab, weil sie bei meiner Geburt starb.”
“Aber das ist doch Unsinn!”
“Ich weiß, aber für meinen Vater war es so. Sie sagten ja selbst, ich hätte die Augen meiner Mutter. Immer wenn Papa mich ansah, erblickte er die Frau, die er verloren hatte, und würdigte mich deshalb kaum eines Blickes.”
“Ach, meine Liebe …”
“In Spanien wurde alles anders. Inmitten von Tod und Gefahr gewinnt ein bisschen persönliches Wohlbefinden eine besondere Bedeutung.” Kate sah Lady Cahill an. “Ich wurde eine gute Haushälterin und sorgte stets für ein warmes Essen, ein trockenes Lager und saubere Kleidung.”
Sie seufzte. “Ich wurde wirklich gebraucht und war so glücklich wie nie im Leben, bis der arme Ben bei Ciudad Rodrigo fiel.” Sie machte eine Pause, ehe sie fortfuhr: “Und dann kam die Niederlage von Salamanca.”
Lady Cahill runzelte die Stirn. Jack war in Salamanca verwundet worden.
“Letzten Juli zog sich unsere Armee vom Douro gegen Salamanca zurück. Die Franzosen waren uns dicht auf den Fersen. Manchmal waren sie mit uns auf einer Linie und so nahe, dass man sie durch die Staubwolken sehen konnte.” Sie schluckte.
“Jemmy wurde in die Brust getroffen. Wir konnten ihn auf einem Karren mitnehmen, doch im dichten Staub und Getümmel blieben wir weit zurück. Dann wurde Papa in den Leib getroffen. Ich schaffte ihn und Jemmy in ein verlassenes Haus, das Schutz bot. Jemmy starb in der ersten Nacht, Papa schaffte es noch zwei Tage. Ich konnte ihm mit ein wenig Laudanum das Sterben erleichtern.”
Lady Cahill beugte sich betroffen vor. “Armes Kind.”
“Danach setzte meine Erinnerung aus, einen ganzen Monat lang.” Sie strich mit zitternden Händen ihren Rock glatt. “Eines Morgens stellte ich beim Erwachen fest, dass ich mich in einem französischen Lager befand. Ein Offizier namens Henri du Croix verhörte englische Gefangene. Ich hatte keine Ahnung, wie ich dorthin geraten war.”
Schaudernd fuhr sie fort: “Es war ein grässliches Gefühl. Später erfuhr ich, dass Henri mich in der Umgebung von Salamanca mit einer Kopfverletzung gefunden hatte.” Sie griff nach der Narbe, die von ihrem Haar verborgen wurde. “Offenbar konnte ich mich nicht einmal an meinen Namen
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