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Nur einen Tag noch

Titel: Nur einen Tag noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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bildete ich mir das ein. In ihrem Kosmos spielten wir jedenfalls keine Rolle. Ich beobachtete, wie das Mädchen auf zwei bärtige junge Männer zuschlenderte, die unter einem Baum lagen. Sie küsste den einen auf den Mund und legte sich dann zu den beiden. Und hier war ich mit meiner Mutter, die sich nach meinem Kulturbeutel erkundigte.
    Eine Stunde darauf schleppte ich meinen Schrankkoffer zur Treppe des Wohnheims. Meine Mutter trug meine beiden Glücks-Baseballschläger, mit denen ich bei der Pepperville County Conference jede Menge Homeruns erzielt hatte.
    »Ich nehm sie dir ab«, sagte ich und streckte die Hand aus.
    »Ich komme mit nach oben.«
    »Nein, nein, ich schaffe das schon.«
    »Aber ich möchte dein Zimmer sehen.«
    »Mama.«
    »Was?«
    »Nun komm schon, lass das.«
    »Was?«
    »Du weißt schon. Lass es.«
    Mir fiel keine andere Äußerung ein, die sie nicht kränken würde, weshalb ich die Hand noch weiter ausstreckte, um ihr die Schläger abzunehmen. Ihr Lächeln erstarb. Ich war inzwischen einen Kopf größer als sie. Schließlich reichte sie mir die Schläger, und ich legte sie auf den Schrankkoffer.
    »Charley«, sagte sie. Ihre Stimme klang verändert, weicher als vorher. »Gib deiner Mutter einen Kuss.«
    Ich stellte den Koffer ab und beugte mich vor. In diesem Moment kamen zwei ältere Studenten lachend und palavernd die Treppe heruntergepoltert, und ich ging unwillkürlich auf Abstand zu meiner Mutter.
    »’tschuldigung«, sagte einer der beiden, als sie sich an uns vorbeidrängelten.
    Als die beiden außer Sichtweite waren, beugte ich mich wieder vor. Ich wollte meine Mutter nur kurz auf die Wange küssen, aber sie schlang mir die Arme um den Hals und zog mich an sich. Der Geruch ihres Parfums, ihres Haarsprays, ihrer Bodylotion, all der duftenden Mittelchen, mit denen sie sich für diesen besonderen Tag schön gemacht hatte, stieg mir in die Nase.
    Ich löste mich von ihr, hob den Schrankkoffer hoch und stieg die Treppe hinauf. Meine Mutter, für die ein Studium immer unerreichbar bleiben würde, ließ ich am Treppenaufgang des Wohnheims stehen.

Die Tagesmitte
    W ie geht es Catherine?«
    Wir saßen in der Küche und aßen zu Mittag, wie meine Mutter es vorgeschlagen hatte. Als ich allein lebte, hatte ich meist in Bars oder Fast-Food-Restaurants gegessen. Aber meine Mutter hatte es stets vermieden, auswärts zu essen. »Weshalb sollten wir Geld ausgeben für schlechtes Essen?«, pflegte sie zu sagen. Nach dem Verschwinden meines Vaters war das ein Scheinargument; wir aßen zu Hause, weil wir uns nichts anderes mehr leisten konnten.
    »Charley? Schätzchen?«, fragte sie. »Wie geht es Catherine?«
    »Gut«, log ich, obwohl ich keinen blassen Schimmer hatte, wie es ihr ging.
    »Und diese Geschichte, von wegen dass Maria sich deiner schämt? Was sagt Catherine denn dazu?«
    Sie brachte mir ein Sandwich – Schwarzbrot mit Roastbeef, Tomate und Senf, in zwei Dreiecke geschnitten. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt ein Sandwich gesehen habe, das so geschnitten war.
    »Mama«, sagte ich, »ehrlich gesagt... Catherine und ich haben uns getrennt.«
    Sie schnitt das nächste Sandwich durch, schien über etwas nachzudenken.
    »Hast du gehört, was ich gesagt habe?«
    »Hm«, antwortete sie, ohne aufzuschauen. »Hab ich, Charley.«
    »Es lag nicht an ihr. Ich war schuld daran. Ich habe mich eine ganze Weile sehr schlecht benommen. Deshalb...«
    Was sollte ich ihr sagen? Und deshalb wollte ich mich umbringen ? Sie schob mir den Teller mit dem Sandwich hin.
    »Mama...« Meine Stimme brach. »Wir haben dich beerdigt. Du bist schon ganz lange nicht mehr da.«
    Ich starrte auf das Sandwich, die beiden Dreiecke. »Alles ist jetzt anders«, flüsterte ich.
    Sie legte mir die Hand an die Wange und verzog schmerzhaft das Gesicht.
    »Alles wird gut«, sagte sie.
    8. September 1967
     
     
    ieber Charley,
    wie findest Du diese Schrift? Ich habe auf Henriettas Schreibmaschine geübt. Sehr schick!
    Ich weiß, dass Du diesen Brief erst lesen wirst, wenn ich weg bin. Aber ich wollte Dir noch etwas sagen, falls ich es vergessen haben sollte, weil ich so aufgeregt bin, dass Du nun studierst. Ich bin so stolz auf Dich, Charley. Du bist der Erste aus unserer Familie, der eine Universität besucht! Bitte sei nett zu den Leuten dort, Charley. Sprich Deine Lehrer immer mit Mr. und Mrs. an, obwohl die Studenten inzwischen angeblich ihre Professoren mit Vornamen ansprechen. Das finde ich nicht richtig. Und sei nett zu den

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