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Nur einen Tag noch

Titel: Nur einen Tag noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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mich einsetzte
    Drei Jahre nachdem mein Vater uns verlassen hat, wache ich mitten in der Nacht auf, weil meine Schwester den Flur entlangrennt. Sie läuft öfter nachts zu meiner Mutter. Ich drücke das Gesicht ins Kissen und schlafe wieder ein.
    »Charley!« Plötzlich steht meine Mutter im Zimmer, laut flüsternd. »Charley! Wo ist dein Baseballschläger?«
    »Was?«, grunze ich und stütze mich auf die Ellbogen.
    »Schsch!«, macht meine Schwester.
    »Der Schläger«, raunt meine Mutter.
    »Was willst du damit?«
    »Schsch«, macht meine Schwester wieder.
    »Sie hat was gehört.«
    »Einbrecher?«
    »Schsch«, macht Roberta.
    Mein Herz hämmert wie wild. Wir haben als Kinder Geschichten von Dieben gehört, die in Häuser einbrechen und die Bewohner fesseln. Ich stelle mir sofort noch Schlimmeres vor, einen Eindringling, der uns alle umbringen will.
    »Charley? Der Schläger?«
    Ich deute auf meinen Schrank. Vor lauter Aufregung stockt mir der Atem. Meine Mutter nimmt meinen schwarzen Louisville Slugger aus dem Schrank, und meine Schwester lässt ihre Hand los und springt zu mir ins Bett. Ich setze mich aufrecht hin, unschlüssig, welche Rolle ich nun übernehmen soll.
    Meine Mutter schleicht hinaus. »Bleibt hier«, flüstert sie. Ich will ihr noch sagen, dass sie den Schläger falsch hält, aber da ist sie schon verschwunden.
    Meine Schwester liegt zitternd neben mir. Ich finde es peinlich, mit der Kleinen im Bett zu liegen, und stehe auf, obwohl sie sich so fest in meine Schlafanzughose verkrallt, dass die fast zerreißt.
    Ich gehe hinaus auf den Flur. Jeder Laut im Haus scheint mir auf einen Einbrecher mit Messer hinzuweisen. Ich höre ein dumpfes Geräusch und Schritte. Bestimmt kommt ein riesiger Unhold die Treppe herauf, um meine Schwester und mich zu ermorden. Dann höre ich ganz deutlich ein Krachen. Und... Stimmen? Kann das sein? Doch. Nein. Moment mal, das ist doch die Stimme meiner Mutter. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich nach unten oder zurück in mein Zimmer laufen soll. Jetzt ein dunklerer Laut – eine zweite Stimme? Eine Männerstimme?
    Ich schlucke.
    Kurz darauf wird eine Tür zugeknallt.
    Und Schritte nähern sich.
    Es ist meine Mutter. »Alles in Ordnung, alles in Ordnung«, sagt sie nun in normaler Lautstärke. Sie streicht mir über den Kopf, und wir gehen in mein Zimmer, wo sie den Baseballschläger zu Boden fallen lässt. Meine Schwester weint. »Alles in Ordnung. Es war gar nichts«, sagt meine Mutter.
    Ich lehne mich erschöpft an die Wand. Meine Mutter nimmt meine Schwester in den Arm und atmet endlos lange aus.
    »Wer war das?«, frage ich.
    »Niemand«, antwortet sie. Aber ich weiß, dass sie lügt. Ich weiß, wer es war.
    »Komm her, Charley.« Sie streckt die Hand aus. Ich trotte zu ihr. Sie zieht mich an sich, aber ich bin störrisch. Ich bin wütend auf sie. Und ich bleibe es bis zu dem Tag, an dem ich endgültig zu Hause ausziehe. Ich weiß, wer dort unten war. Und ich bin wütend, weil sie meinem Vater nicht erlaubt hat zu bleiben.
    Gut, Rose«, sagte meine Mutter, als ich wieder hereinkam,
    »wart’s ab, in einer halben Stunde wirst du ganz zauberhaft aussehen.«
    »Wer war am Telefon, Charley?«, fragte Rose.
    Ich konnte nur mit Mühe den Kopf schütteln. Meine Hände zitterten.
    »Charley?«, sagte meine Mutter. »Stimmt etwas nicht?«
    »Es war...« Ich schluckte. »Es war niemand dran.«
    »Vielleicht ein Vertreter«, sagte Rose. »Die bekommen immer Angst, wenn sich am Telefon Männer melden. Die haben es auf alte Damen wie mich abgesehen.«
    Ich musste mich setzen, fühlte mich plötzlich so erschöpft, dass ich nur mit Mühe den Kopf hochhalten konnte. Was war hier eben passiert? Wer hatte da gesprochen? Wieso war ich gefunden worden, wurde aber nicht verhaftet? Je angestrengter ich darüber nachsann, desto verworrener kam mir alles vor.
    »Bist du müde, Charley?«, fragte meine Mutter.
    »Es geht gleich wieder.«
    Mir fielen die Augen zu.
    »Schlaf nur«, hörte ich eine Stimme sagen, aber ich wusste nicht mehr, wer das gesagt hatte, weil ich schon wegdriftete.

Als meine Mutter sich für mich einsetzte
    Ich bin fünfzehn Jahre alt und muss mich zum ersten Mal rasieren. An meinem Kinn sprießen vereinzelte Haare, auf meiner Lippe bildet sich ein Flaum. Eines Abends, als Roberta schon schläft, ruft meine Mutter mich ins Badezimmer. Sie hat einen Gilette-Rasierer, zwei Edelstahlklingen und eine Tube Burma-Rasiercreme erstanden.
    »Weißt du, wie du das machen

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