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Nur einen Tag noch

Titel: Nur einen Tag noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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Mutter.«
     
     
    Danach verfielen wir alle in Schweigen. Schließlich schlug Miss Thelma die Augen auf.
    »Und du, Chickadu?«, fragte sie und blickte zu mir. »Biste immer noch im Scheinwerferlicht und spielst Baseball?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Dacht ich mir«, sagte sie. »Ist’n Spiel für junge Männer, Baseball. Aber für mich wirste immer der kleine Bub mit dem Handschuh bleiben, so ernsthaft.«
    »Charley hat jetzt selbst Familie«, warf meine Mutter ein.
    »Wirklich?«
    »Und eine gute Stellung.«
    »Na bitte.« Miss Thelma lehnte den Kopf ans Kissen. »Dann geht’s dir ja prima, Chickadu. Richtig prima.«
    Sie irrten sich alle.
    »Ich hasse meine Arbeit«, sagte ich.
    »Na ja…« Miss Thelma zuckte die Achseln. »Kommt manchmal vor. Kann aber auch nicht schlimmer sein als Badewannen schrubben, oder?« Sie grinste. »Man muss ja was tun, um seine Familie zu versorgen. Stimmt’s, oder hab ich Recht, Posey?«
    Ich sah zu, wie meine Mutter mit dem Make-up fortfuhr, und dachte daran, wie viele Jahre Miss Thelma gestaubsaugt und Badewannen geschrubbt hatte, um ihre Kinder zu ernähren; wie oft meine Mutter Haare gewaschen und gefärbt hatte, um uns zu ernähren. Und ich? Ich war zehn Jahre lang Baseballprofi gewesen – und wünschte mir, es hätten zwanzig Jahre sein können. Plötzlich schämte ich mich.
    »Und was stimmt nicht mit deinem Job?«, erkundigte sich Miss Thelma.
    Ich dachte an mein Büro, die Metalltische, die Neonröhren.
    »Ich will kein gewöhnlicher Mensch sein«, murmelte ich. Meine Mutter blickte auf. »Was ist denn ein gewöhnlicher Mensch, Charley?«
    »Na, du weißt schon. Jemand, der in Vergessenheit gerät.«
    Aus dem anderen Zimmer war das Kreischen von Kindern zu vernehmen. Miss Thelma wandte den Kopf in diese Richtung und lächelte. »Das sorgt dafür, dass ich nicht in Vergessenheit gerate.«
    Sie schloss die Augen, damit meine Mutter den Lidschatten auftragen konnte, holte tief Luft und legte sich bequem zurecht.
    »Aber ich habe es nicht geschafft, meine Familie zusammenzuhalten«, platzte ich heraus.
    Meine Mutter hielt den Finger an die Lippen, damit ich still war.
    Für meinen Charley an seinem Hochzeitstag
     
     
    Ich weiß, dass Du diese Briefchen albern findest. Über die Jahre habe ich oft bemerkt, wie Du das Gesicht verziehst, wenn ich sie Dir gebe. Aber versteh doch bitte, dass ich Dir manchmal etwas sagen möchte, und dann soll es genau richtig sein. Wenn ich es aufschreibe, ist das hilfreich für mich. Ich wünschte nur, ich könnte mich besser ausdrücken. Ich wünschte, ich hätte studieren können. Dann hätte ich etwas mit Sprache studiert und mehr Wörter kennen gelernt. Oft habe ich das Gefühl, dass ich immer wieder dieselben Wörter benutze wie eine Frau, die jeden Tag dasselbe Kleid anzieht. Das ist ja so langweilig!
    Was ich Dir sagen möchte, Charley, ist, dass Du ein wunderbares Mädchen heiratest. Catherine ist in vielerlei Hinsicht wie Roberta für mich. Wie eine Tochter. Sie ist liebenswert und geduldig. Und so solltest Du auch im Umgang mit ihr sein, Charley.
    Folgendes wirst Du über die Ehe herausfinden: Ihr müsst gemeinsam daran arbeiten. Und dreierlei müsst ihr lieben:
    1) euch
    2) eure Kinder (falls Ihr welche haben solltet! Wink mit dem Zaunpfahl!)
    3) eure Ehe
    Mit Letzterem meine ich Folgendes: Manchmal werdet ihr euch vielleicht streiten, und dann mögt ihr euch nicht besonders. In diesen Zeiten müsst ihr eure Ehe lieben. Sie ist wie der Dritte im Bunde. Schaut euch eure Hochzeitsfotos an. Und eure gemeinsamen Erinnerungen. Wenn ihr an diese Erinnerungen glaubt, werden sie euch zusammenhalten.
    Ich bin heute sehr stolz auf Dich, Charley. Diesen Brief stecke ich in Deinen Smoking, weil ich weiß, wie leicht Du Sachen verlierst.
    Ich habe Dich sehr lieb!
    Mama
     
     
    aus Chick Benettos Unterlagen, circa 1974

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    N un will ich noch von meinem besten und meinem schlechtesten beruflichen Erlebnis berichten. Ich brachte es bis zum Baseball-Olymp: den Meisterschaften. Damals war ich erst dreiundzwanzig Jahre alt. Anfang September brach sich der Catcher der Pirates den Knöchel, und sie brauchten einen Ersatzmann und entschieden sich für mich. Ich erinnere mich noch heute genau daran, wie ich diesen mit Teppichboden ausgelegten Umkleideraum betrat. Ich konnte gar nicht fassen, wie groß der war. Von einem Münzfernsprecher rief ich Catherine an – wir waren seit sechs Monaten verheiratet – und sagte immer wieder: »Es ist

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