Nur Engel fliegen hoeher
Computer, schon fällt sie durchs Raster. Willst du zum Übergang Bornholmer Straße? Kannst den Fuß vom Gas nehmen. Dort darf sie garantiert auch nicht einreisen.«
»Ick sagte doch, ick hab für euch was janz Spezielles organisiert. Man könnte es wirklich kleinen Grenzverkehr nennen.«
Fred parkt sein Auto wie gewohnt vor seiner Tür in der Wol-lankstraße. Jonas steigt missmutig aus und folgt ihm in seine Souterrainwohnung. Ihm fällt der Rosenstrauß auf dem Rücksitz ein. Er geht ihn holen; dabei bemerkt er, dass seine Reisetasche nicht da ist. In dem Moment wird ihm bewusst, dass sein Auto ja noch Unter den Linden parkt. Es ist ihm in diesem Moment völlig egal.
Fred schließt die Wohnungstür hinter ihnen.
»Jonas, du hast nur noch wenige Minuten.«
»Was hast du vor?«
»Wat siehst du, wenn du raus auf die Straße kiekst?«
»So ein verfluchtes Schild mit der Aufschrift >Grenzgebiet! Betreten und Befahren nur mit Sondergenehmigung erlaubt!< Fred, bitte, ich kann diese Schilder nicht mehr sehen.«
»Und dahinter?«
»Ein Fußweg und ein olles Haus im Grenzgebiet. Den Westen kann ich leider nicht sehen.«
»Pass jetzt genau auf, Jonas, wat ick dir sage. Du darfst keinen Fehler machen. Du ziehst mein schwarzes Sakko über, nimmst deinen Blumenstrauß und gehst schnurstracks gerade rüber. Ohne nach rechts oder links zu kieken. Du betrittst den Fußweg und gehst in den Hauseingang genau gegenüber.«
»An der Bordsteinkante da drüben beginnt das Grenzgebiet. Die nehmen mich auf der Stelle fest.«
»Hör auf zu jammern! Du hast nur noch vier Minuten.«
»Mensch Fred, da links steht der grüne Polizei-Wartburg. Und einen Steinwurf nach rechts steht die Kradstreife der Grenzer. Die sind in Sekunden bei mir und wollen den Passierschein sehen.«
»Zieh das Sakko über. Noch drei Minuten. Wenn du am Haustor bist, sofort reingehen. Es steht offen. Von innen schließen und die Treppe bis janz nach oben. An der obersten Wohnung klingelst du und sagst, du musst dringend auf Toilette.«
Jonas sieht, wie Fred von der Decke seiner Ladenwerkstatt eine große Alu-Leiter abnimmt und sich über die rechte Schulter hängt.
»Bist du wahnsinnig geworden?«
»Keine Sorge, ick bringe die nur zu einer Freundin, die zufällig heute tapezieren will.«
Fred sieht auf die Uhr.
»Ick gehe jetzt. Du zählst bis zwanzig und machst dann jenau das, wat ick dir gesagt habe.«
Jonas nickt. Fred öffnet die Tür zur Straße, tritt mit der geschulterten Leiter ins Freie. Pfeifend spaziert er mitten auf der Wollankstraße und verdächtig nahe am Grenzgebiet entlang. Selten fährt hier ein Auto. Der Mann auf der Straße mit der geschulterten Leiter muss selbst einem Blinden auffallen.
Jonas zählt bis zwanzig, nimmt den Rosenstrauß und geht hinaus. In dem Moment kommt von links der Polizei-Wartburg angerast und stellt sich mit quietschenden Bremsen quer vor Fred.
Jonas geht schnurstracks über die Straße. Plötzlich kommt von rechts ein Motorrad und bremst scharf, darauf zwei Grenzsoldaten in Geländeuniformen und mit umgehängten Maschinenpistolen.
»Pass doch auf, du Idiot!«, schnauzt ihn der Kradfahrer an, gibt kurz Gas und stellt sich mit seiner Maschine hinter dem Leiter tragenden Fred quer.
Jonas tritt in das offene Tor auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er schließt es von innen. Zum ersten Mal in seinem Leben befindet er sich in einem Haus im Grenzgebiet nach West-Berlin. Von der Durchfahrt zum Hof geht ein Treppenhaus ab. Er hält einen Moment inne. Niemand scheint ihm zu folgen. Er eilt eine halbe Etage nach oben. Auf dem Treppenabsatz späht er
in den Hinterhof, auf dem Wäscheleinen vom Haus zu einer hohen Mauer gespannt sind. Diese Hofmauer ist zugleich die erste Mauer des Grenzsystems. Dahinter folgt ein schmaler Postenweg und parallel dazu ein hoher Streckmetallzaun. Er ist noch höher als die Hofmauer. Dahinter kommt ein geharkter Streifen. Und als abschließendes Bauwerk gen Westen die hohe weiße Mauer mit der runden Betonröhre oben, die das Überklettern verhindern soll.
Unmittelbar dahinter, aber schon in West-Berlin, liegt der S-Bahnhof Wollankstraße. Der Bahnsteig überragt die letzte weiße Mauer. Die Menschen dort sind so nahe wie auf einer gegenüberliegenden Straßenseite. In dem Moment fährt eine S-Bahn in den Bahnhof ein.
Jonas stürzt in Sekunden das Treppenhaus bis in die dritte Etage hoch und klingelt an der obersten Wohnungstür.
»Guten Tag. Ich muss dringend auf
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