Nur Engel fliegen hoeher
aber doch in die Küche.
»Es nützt wirklich nichts«, sagt Rainer, während er die Flasche entkorkt und Wein eingießt, »wenn du dich gegen den Staat auflehnst, der dir einen Pass geben soll.«
»Sondern?«
»Du musst dich arrangieren! Prost!«
Ellen setzt ihr Glas ab. »Solltest du für die Stasi arbeiten, dann nimm sofort deinen Wein und deinen Glasuren-Katalog und verlass bitte auf der Stelle mein Haus.«
»Du bist aber bissig. Ich rede vom Arrangieren innerhalb der Gesellschaft, in der du lebst. Übrigens hat jeder Staat einen Geheimdienst. Wo steckt eigentlich dein Mann?«
»Das muss dich nicht interessieren!« Ellen nimmt einen kräftigen Schluck von dem Wein. Er kommt ihr sehr stark vor.
»Ihr lebt wohl eine ziemlich offene Beziehung?«
»Rainer, wenn du mir wirklich helfen willst, dann misch dich nicht in unsere Privatangelegenheiten ein. Zeig mir bitte einen Weg, wie ich meine Sachen im Westen ausstellen kann.«
»Hast du einen Anlass, der glaubhaft klingt?« Rainer schenkt Rotwein nach. Die Flasche ist gleich leer.
»Also, du brauchst eine Galerie oder Ausstellung, die deine Kunst zeigen will oder irgend so etwas, und dann ...«
Rainer macht eine Pause und sieht ihr lächelnd in die Augen.
»Was dann? Sag mir einen geraden Weg, ohne dass ich einen Pakt mit dem Teufel eingehen muss!«
»Nun reagier doch nicht gleich so angegriffen. Ich will dir keinen Pakt mit dem Teufel verkaufen, sondern einfach nur helfen, dass du auch mal in den Westen reisen darfst.«
»Beweis mir, dass du mich nicht mit Phrasen ruhigstellen willst.«
»Ellen, in Berlin hat schon fast jeder Künstler einen Pass und darf ins Ausland reisen. Das war vor fünf Jahren noch unvorstellbar. Wir haben uns einfach seitens des Verbandes dafür stark gemacht. Der Staatsapparat hat das inzwischen akzeptiert, und es scheint zu funktionieren. Die meisten Künstler kommen ja auch zurück.«
»Ich lebe nicht in Berlin, sondern in Rostock. Wo sich Ideologie und provinzielles Denken paaren, ist kein Platz für Visionen.«
»Man muss die richtigen Leute kennen, dann können auch in Mecklenburg kleine Wunder geschehen.«
»Du willst also hier den Wundertäter spielen?« Ellen lacht und trinkt ihren Wein aus.
»Du ohrfeigst mich mit deinem Spott.«
»Ich glaube in diesem Staat nicht mehr an Wunder. Dafür habe ich zu viele Enttäuschungen erlebt.«
»Soll ich dir nun helfen, dass du zu einer Westreise kommst, oder willst du mich lieber verspotten?«
»Dann verrate mir endlich, wie ich einen Pass bekomme.«
»Na also,« sagt Rainer und zieht eine zweite Flasche Bordeaux aus seiner Aktentasche und entkorkt sie.
»Nee, das lass bitte. Du musst noch fahren. Ich habe nichts gegessen und vertrage nicht so viel.«
»Zuerst musst du formlos aufschreiben, was du konkret willst«, erklärt Rainer und gießt beide Becher noch einmal voll.
»Das machst du handschriftlich. Diese Erklärung gibst du mir, also deinem Verband. Bei der Polizei füllst du die üblichen Reiseanträge aus. Wir bearbeiten und befürworten dann dein Reiseersuchen - oder auch nicht - und setzen uns mit den zuständigen staatlichen Organen in Verbindung. Sollte nichts gegen dich vorliegen, darfst du reisen - oder auch nicht. Prost!«
»Demnach hättest du Einfluss auf die Entscheidung?!« Ellen lacht provozierend. Dabei nimmt sie einen großen Schluck und verschüttet Wein auf ihr T-Shirt. Er nimmt ein blütenweißes Taschentuch aus der Tasche seines Jacketts und versucht, damit den Fleck auf ihrer Brust wegzuwischen.
»Hey, so war das nicht gemeint. Finger weg!«
»So guten Wein sollte man nicht verschütten«, sagt Rainer und gießt ihren Becher wieder voll.
»Hast du etwa gewusst, dass Jonas heute nicht da ist, und bist deswegen gekommen?«
»Wäre dein Mann hier, könnte ich nicht mit dir unter vier Augen reden.«
»Ich will mich aber nicht mit dir betrinken, sondern du wolltest mir erklären, wie ich zu einer Westreise komme.«
»Wo soll es denn hingehen? Prost!«
»In vier Wochen ist ein Kunst- und Handwerkermarkt in Kopenhagen. Da will ich hin und meine Keramik verkaufen.«
»Bisschen Westgeld verdienen?«, grinst Rainer. »Davon hätte ich auch gern etwas ...«
»Nee, endlich frische Luft atmen!«
Rainer zieht ein weißes Blatt aus seiner Aktentasche, legt es ihr hin und sagt: »Schreib einfach: Hiermit erkläre ich, Ellen Maler...«
Ellen schiebt demonstrativ Papier und Kuli weit von sich. »Ich will keine Erklärung abgeben, sondern einen
Weitere Kostenlose Bücher