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Nur Engel fliegen hoeher

Nur Engel fliegen hoeher

Titel: Nur Engel fliegen hoeher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Westfield
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Toilette.«
    »Schnell, beeil dich!«
    Eine junge Frau schubst Jonas nach links in das schlauchförmige Badezimmer mit einem weit geöffneten Fenster.
    »Bitte nichts rüberrufen. Und auf keinen Fall rauslehnen. Zeichen kannst du aber geben. Mit dieser S-Bahn vom Zoo müsste sie gekommen sein.«
    Jonas hört eine Lautsprecheransage. Dann schließen sich knallend die Türen der rot-gelben Bahn, die nach rechts weiterfährt. Ein kleiner Pulk von Personen geht schwatzend nach links und verschwindet in dem gläsern überdachten Treppenhaus nach unten.
    Nur eine junge Frau bleibt auf dem Bahnsteig zurück. Jonas will etwas rufen, doch im letzten Moment erstickt seine Stimme. Die Frau trägt hohe rote Stiefel, einen schwarzen Mantel mit fellbesetzter Kapuze, über die ihre leuchtend blonde Mähne wallt. Sie sieht zuerst nach unten in den Hinterhof, wo ein Rentnerpaar im Schatten der Mauer Wäsche aufhängt. Dann gleitet ihr Blick an der Hausfassade nach oben.
    Wie Blitze treffen sich ihre Blicke. Sie sind keine zwanzig Meter voneinander entfernt, sie könnten sogar miteinander reden. Doch Julia steht im Blickfeld von zwei Wachtürmen. Sie lächeln sich an. Jonas spürt, wie ihm Tränen in die Augen steigen. Er wirft ihr einen Kuss zu. Julia fängt ihn auf und legt ihn sanft auf ihren Bauch. Jonas wiederholt seine Geste. Sie legt wieder die Hand auf den Bauch. Dann stellt sie sich so, dass er ihr Profil sieht, deutet mit beiden Händen einen dicken Bauch an und streckt drei Finger ihrer linken Hand nach oben. Mit der Rechten wirft sie ihm liebevoll einen Handkuss zu, was soviel heißen könnte wie: herzlichen Glückwunsch zur Vaterschaft.
    -Die Klostermauer«, flüstert Jonas. Mit beiden Händen wirft er jetzt Küsse hinüber. Julia lacht und sieht glücklich aus. Er zieht eine Rose aus dem Strauß und versucht, sie wie einen Pfeil zu ihr hinüberzuschießen. Doch sie fliegt nur wenige Meter weit und landet zwischen beiden Mauern.
    Die nächste S-Bahn fährt ein. Sie stoppt kurz. Lautsprecheransage. Türen schließen. Abfahrt. Jonas sieht nur noch einen menschenleeren Bahnsteig in West-Berlin.
     

Kapitel 15
    Ellen Maler hat ihre Tochter Maria am Nachmittag zu einer Schulfreundin, der Tochter des Pfarrers, gefahren. Die beiden Mädchen wollen zusammen Flöte spielen und dann im Pfarrhaus übernachten. Als sich Ellen im Hausflur ihre Jacke wieder anzieht, fragt der Pfarrer: »Willst du heute Abend hierbleiben? Auf eine Flasche Rotwein?«
    »Danke, ich möchte lieber nach Hause. Heute bin ich allein, habe Ruhe und will eine Eingabe schreiben.«
    »Schon wieder Ärger mit der Schule?«
    »Der Direktor hat akzeptieren müssen, dass Maria als einzige Schülerin nicht zu den Jung-Pionieren geht.«
    »Glaubst du, dass es damit ausgestanden ist?«
    »Sie werden es nicht mehr wagen, öffentlich Druck auf Maria auszuüben oder sie zu benachteiligen. Aber ich traue denen nicht. Möglicherweise kommen jetzt die subtileren Methoden. Der Sumpf aus Partei, Stasi und menschlicher Niedertracht versucht jeden nach unten zu ziehen, der sich geraden Hauptes erhebt.«
    »Es muss in jeder Gesellschaft Menschen geben, die den Mut haben, gegen den Strom zu schwimmen.«
    »Ich will mich beschweren, weil ich als eingeladene Künstlerin nicht zu einer Ausstellungseröffnung nach West-Berlin durfte.«
    »Schreib deine Eingabe, wenn es dir hilft, den inneren Druck loszuwerden.«
    »Den habe ich schon abgelassen, als man mir auf der VP-Mel-destelle sagte, dass mein Reiseantrag abgelehnt wurde. Ich habe
    geheult und die Polizistin laut angeschrien. Ich dachte erst, die verhaftet mich. Aber sie war nett und sagte, ich solle eine Eingabe schreiben. Das mache ich heute.«
    Am späten Nachmittag stellt Ellen ihren Trabi-Kombi in ihrer Grundstückseinfahrt ab und geht ins Haus. Im Wohnzimmer gießt sie sich ein Glas Rotwein ein und stellt Jonas' Reiseschreibmaschine auf den Tisch. In diesem Moment hält ein Mazda mit Ost-Berliner Kennzeichen vor ihrer Toreinfahrt. Ein gut aussehender Mann um die vierzig steigt aus, nimmt seine Aktentasche und sieht sich um. Er ist groß, schlank, hat ein gebräuntes Gesicht und trägt einen gut sitzenden dunkelblauen Anzug, darunter ein hellblaues Hemd. Anstelle einer Krawatte sind die oberen zwei Knöpfe geöffnet, wo ein strahlend weißes T-Shirt leuchtet. Er zieht das Jackett aus, hängt es sich lässig über die Schulter und fährt sich mit seiner Rechten durch das kurze Haar und klingelt.
    »Entschuldigen Sie, Sie sind

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