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Nur Engel fliegen hoeher

Nur Engel fliegen hoeher

Titel: Nur Engel fliegen hoeher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Westfield
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Seite.«
    »Und die Betroffenen? Haben Jonas und Julia ihre Akten gesehen? Vielleicht kurz nach dem Mauerfall?«
    »Woher kennen Sie die Vornamen?«
    »Äh ... das weiß ich nicht mehr so genau.«
    »Sie müssen sie irgendwo gelesen haben ...«
    »Ja. Sie hatten an einer Stelle vergessen, sie zu schwärzen.«
    »Oh, das hätte nicht passieren dürfen. Ich muss Sie bitten, die Namen auf keinen Fall im Rahmen Ihrer Hausarbeit zu verwenden. Sie hätten die Klarnamen nie erfahren dürfen.«
    »Haben sich Jonas und Julia nach dem Fall der Mauer getroffen? Haben sie zusammengefunden? Wurden sie glücklich?«
    »Sie werden es erfahren, wenn Sie die Akte bis zum Ende lesen.«
    »Warum verraten Sie es mir nicht?«
    »Ich bin zwar die einzige Person, die die Akte von vorn bis hinten kennt, aber ich darf Ihnen vorab nichts zum Inhalt sagen.«
    »Aber Sie wissen doch vielleicht, was nach dem Mauerfall aus den beiden wurde? Da gab es doch keine Stasi mehr...«
    »Junge Frau, Sie müssen jetzt wirklich das Gebäude verlassen.«
    »Ja, ja. Morgen früh bin ich wieder da.«

     

Kapitel 14
    Am ersten Freitag im März 1989 schreibt Jonas morgens in der Redaktion der Tageszeitung »Der Demokrat« in Rostock die sogenannten »Ostseestreiflichter«. Dazu benutzt er die Meldungen des Tages aus den Kreisausgaben der SED-Zeitungen, formuliert sie um und füllt damit die Meldungsspalte des CDU-Bezirksblattes. Es gilt die Devise der »Prawda«: Für die Wahrheit ist es nie zu spät. Was da gemeldet wird, ist ohnehin weder aktuell noch sonst wie aufregend. Jonas berichtet unter anderem, dass sich die Kleingärtner in Wolgast verpflichtet haben, mehr Beerensträucher zu pflanzen, damit die Versorgung der Bevölkerung mit Obst noch besser wird. Oder dass in der Wismarer Altstadt eine Hausfassade gestrichen wurde, um Wismar noch schöner zu machen. Das Wort
noch
gehört in jede Erfolgsmeldung, damit niemand schlussfolgern könnte, dass es in Wahrheit in Wolgast nie Beerenobst zu kaufen gibt oder dass in Wismar die Altstadtfassaden verfallen.
    Ihm schräg gegenüber entwirft Manfred, Chef der Lokal- und Bezirksredaktion, mit Bleistift, Zeilenmaß und Radiergummi den Seitenspiegel. Eines der von allen Redakteuren im Raum gemeinsam genutzten uralten schwarzen Telefone schrillt. Manfred nimmt ab.
    »Lokales, ja bitte? Ja, einen Moment.«
    Manfred reicht mit ausgestrecktem Arm den Hörer weiter.
    »Jonas Maler, Lokalredaktion.«
    »Ich bin's.«
    »Julia!«
    »Kannst du heute kommen?«
    »Hm...?«
    »Ich muss dir etwas ganz Wichtiges sagen.« Schieß los!«
    »Nicht am Telefon.«
    »Wann und wo?«
    »16 Uhr? Checkpoint Charlie?«
    »Ich versuche, das hinzukriegen.«
    »Okay, dann bis nachher.«
    Julia hat aufgelegt. Jonas legt Manfred die »Streiflichter« auf den Tisch. »Kann ich heute Nachmittag frei machen?«
    »Was ist los, Unionsfreund? Immer fällt dir Freitag früh ein, dass du mittags plötzlich weg musst! Und wer füllt das Blatt? Du weißt ganz genau, dass ich am Freitagnachmittag immer mit dem Chef einen trinken gehen muss.«
    »Du hast von mir doch noch den Bericht von der CDU-Kreisdelegiertenkonferenz. Das Geschwafel musst du früher oder später sowieso mitnehmen. Es füllt alle Spalten.«
    »Willst du damit unseren letzten Lesern das Wochenende versauen?«
    »Die gucken eh die Tagesschau und nehmen unser Blatt nur zum Fische einwickeln.«
    »Mit dieser politischen Einstellung kann der Sozialismus niemals siegen.«
    »Das wäre auch eine furchtbare Katastrophe.«
    Beide lachen. Manfred holt aus seiner untersten Schreibtischschublade eine Flasche Rostocker Pils und verteilt den Inhalt auf zwei Gläser.
    »Du schreibst mir bitte bis um zwölf noch einen politisch astreinen Kommentar zur CDU-Kreisdelegiertenkonferenz.«
    Jonas zuckt zusammen.
    »Nun piss dich nicht ein. Darfst dir ein unverfängliches  Pseudonym zulegen.«
    Jonas lächelt.
    »Und dann verschwinde in Gottes Namen.«
    Jonas öffnet seine Schreibtischschublade und schiebt Manfred den eingewickelten, fünf Wochen alten »Spiegel« zu.
    »Wahnsinn! Erzähl bloß niemandem, dass du so was hast!«
    Sorgfältig, als sei es ein besonders kostbares Kunstwerk, steckt Manfred das Magazin in seine Aktentasche.
    »Lüg dir jetzt den Kommentar zusammen. Und dann hau ab. Offiziell bist du auf einem Auswärtstermin.«
    Jonas spannt ein frisches Blatt Manuskriptpapier ein. Bevor er anfängt zu tippen, ruft er seinen Freund Wolfram Krall beim Konkurrenzblatt »Norddeutsche Neueste

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