Nur Engel fliegen hoeher
Ellen Maler?«
»Wer sind Sie?«
»Rainer Kesselring vom Verband Bildender Künstler.«
»Ich kenne Sie nicht.«
»Können Sie auch noch nicht, ich komme aus Berlin. Werde aber künftig die Künstler an der Küste betreuen.«
»Um diese Zeit? Können Sie sich nicht anmelden?«
»Sie haben doch kein Telefon.«
»Wenn Sie mir nach acht Jahren Wartezeit heute ein Telefon anschließen wollen, dann bitte - einen Apparat in der Werkstatt und einen im Wohnzimmer.« Ellen zeigt auf die offene Tür.
»Und mehr Wünsche haben Sie nicht?«
Beide lachen.
Es fängt an zu regnen. Ellen bittet den Gast in das Wohnzimmer, räumt Bücherstapel, das Weinglas und die Schreibmaschine beiseite und bittet ihn, Platz zu nehmen.
»Also, ich heiße Rainer«, sagt der Mann und reicht ihr seine Visitenkarte.
»Und ich bin Ellen.« Sie sieht sich die Visitenkarte genau an. Darauf steht: Rainer Kesselring, Verband Bildender Künstler der DDR, darunter die Adresse des VBK in Berlin. Ellen steckt die Visitenkarte in den Briefständer auf ihrem Gründerzeitsekretär.
»Entschuldige, aber ich bin neu im Verbandssekretariat und zuständig für die drei Nordbezirke, sozusagen als Verstärkung der hiesigen Kollegen, zu denen du ja einen guten Kontakt pflegst.«
»Wenn man das so nennen kann ...«
»Ellen, ich habe dir etwas mitgebracht.«
Rainer Kesselring zieht einen aus dem Westen stammenden Katalog für Keramik-Glasuren aus seiner Aktentasche und legt ihn auf den Tisch.
»Man sagte mir, dass du dich für so etwas interessierst.«
»Ich fasse es nicht. Jahrelang habe ich davon geträumt, einmal mit solchen Materialien arbeiten zu dürfen. Kann man das jetzt bestellen?«
»In kleinen Mengen, ja. Wir haben ein bescheidenes Kontingent.«
»Aber das ist bestimmt sehr teuer. Ich habe kein Westgeld, zumindest nicht viel.«
»Du bist Künstlerin in unserem Verband. Also darfst du in DDR-Mark zahlen. Es gibt einen Umrechnungsfaktor zur Westmark, sicher wird es nicht billig. Aber erst mal kommst du an so was ran. Freust du dich?«
»Das ist wie Weihnachten. Trinkst du einen Tee mit?«
Ellen geht in die Küche, setzt Wasser auf und stellt zwei von ihren selbst gefertigten Keramikpötten auf den Tisch.
»Wenn ich ehrlich sein darf: Ich mag keinen Tee.«
»Du machst mir mit den Glasuren wirklich eine große Freude.«
»Kann man aus deinen schönen Pötten auch Rotwein trinken?«
»Sicher.«
Rainer zieht eine Flasche Bordeaux aus seiner Aktentasche und stellt sie demonstrativ auf den Tisch.
»Mein Gott! Wo hast du das alles her? Kommst du aus dem Westen?«
»Ein klein wenig Perestroika haben wir ja schließlich auch. Und es sind heute Dinge möglich, an die wir noch vor einem Jahr nicht im Traum gedacht haben. Hast du einen Korkenzieher?«
»Nee, nee. So war das nicht gemeint. Ich bin heute alleine und du musst noch nach Hause fahren.«
»Na, dann lasse ich dir die Flasche hier und du genießt den Abend allein.«
»Nimm sie wieder mit. Ich schreibe heute eine Eingabe. Dafür wäre ein so seltener Tropfen viel zu schade.«
»Wer wagt es, eine so schöne und interessante Frau zu ärgern?«
»Spar dir deinen Schmalz. Ich war zu einer Ausstellungseröffnung nach West-Berlin eingeladen. Sie haben mich abblitzen lassen. Wahrscheinlich, weil ich nicht in der Partei bin.«
»Warum erzählst du so etwas nicht mir? Ich bin dein Ansprechpartner. Immer kann ich nicht helfen. Aber steter Tropfen höhlt den Stein.«
»Ich wusste ja nicht einmal, dass es dich gibt.«
»Dann hätte ich mich wohl schon früher bei dir melden sollen. Das tut mir wirklich leid. Es ist meine Schuld.« Kesselring lehnt sich gelassen auf dem Sofa zurück, als habe er jetzt guten Grund, entspannt zu sein.
»Rainer, jeder Blödmann gräbt neuerdings irgendwelche Tanten im Westen aus, erfindet ein familiäres Ereignis und darf rüberfahren. Selbst Genossen dürfen das. Aber ein Mensch mit geradem Rücken, der nicht jahrelang Speichel geleckt hat, muss weiter in diesem Käfig schmoren!«
»Du verfällst in das Vokabular deines Mannes.«
»Sag nichts gegen Jonas. Er ist einer der wenigen, die nicht den Buckel krumm machen.«
»Aber sein Rebellieren hat ihm mehr Feinde als Freunde eingebracht.«
»Lieber eine ehrliche Feindschaft als eine geheuchelte Freundschaft.«
»Warum beantragst du nicht ganz normal eine Westreise?«
»Sag mir, wie ich das machen muss, damit es funktioniert?«
»Nun hol schon mal einen Korkenzieher.«
Ellen guckt misstrauisch, geht dann
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