Nur Engel fliegen hoeher
der rechten Hand nach oben.
»Machen Sie ein paar Fotos von der Lady!«
»Woher kennen Sie die Schnecke, Genosse Jagovich?«
»Wir hatten sie 24 Stunden in Gewahrsam, Ende Oktober 87. Sie wurde an der GÜST Friedrichstraße mit einem DDR-Bürger im Kofferraum erwischt, einem gewissen Fred Wachowiak, wohnhaft in Pankow.«
»Da war sie noch nicht an der US-Botschaft?«
»Nein, aber sie sagte im Verhör, dass sie ab November dort arbeiten würde. Wir glaubten, einen interessanten Fisch im Netz zu haben.«
»Und warum sitzt sie jetzt nicht wegen illegalen Menschenhandels?«
»Weil sie eine Verpflichtungserklärung für das MfS unterschrieben hat. Das war ein klarer Deal. Danach haben wir sie laufen lassen. Wird noch heute als IM Palermo geführt.«
»Und was taugt die IM Palermo?«
»Jetzt schnell, Zessel, Foto!«
»Hab sie schon.«
»Nein, seine rechte Hand, schnell!«
»Den Schalthebel?«
»Zessel, das ist ein Automatikauto! Sehen Sie doch, der kleine Finger seiner Rechten, wie der an ihrem Oberschenkel...«
Die Kamera klickt mehrmals.
»Was taugt die Schlampe?«, will Zessel wissen.
»Sie hatte uns ein paar Inventarlisten der Bibliothek übergeben und kam uns dann damit, dass sie nur weitermacht, wenn ihr Freund auf freien Fuß kommt. Der Kerl hat auch eine Verpflichtungserklärung für das MfS unterschrieben und wurde nach sechs Wochen U-Haft entlassen.«
»Zwei IMs auf einen Schlag?«
»Als ihr Freund wieder draußen war, hat dieses kleine Luder einen Brief an den Genossen Honecker geschrieben, alles haarklein geschildert und gedroht, dass sie den Fall der Bild-Zeitung übergeben würde, falls wir ihr oder ihrem Freund noch mal zu nahe treten sollten. Hat ziemlich viel Ärger gegeben deswegen.«
»Und jetzt lässt sie sich von diesem Neger befingern.«
Plötzlich anhaltendes Autohupen. Marc Davis startet den Wagen und gibt Gas, fährt über Absperrkegel und Feuerwehrschläuche, Wasser spritzt auf. Die Bauarbeiter springen erschrocken zur Seite. Der schwarze Chrysler verschwindet aus dem Blickfeld und fährt auf das Gelände der US-Mission.
»Der Mann lässt sich scheinbar nichts in den Weg legen«, meint Jagovich.
Zessel schraubt die Praktica vom Stativ und dreht mit der Rückspulkurbel den Film in die Patrone zurück. Er öffnet die Kameraklappe und nimmt den ORWO NP20 heraus.
»Dieser Mann, den die Italienerin damals rausholen wollte, lebt der noch immer in der DDR?«
»Ja, und wie es scheint, gar nicht so schlecht. Wir haben verschiedene Zersetzungsmaßnahmen eingeleitet. Zuerst haben wir ihn von seinem Ingenieurstudium exmatrikulieren lassen. Hat er scheinbar gelassen hingenommen. Außerdem hat er eine totale Reisesperre. Aber alles scheint ihn nicht weiter zu tangieren. Er hat keine Familie und ist schwer angreifbar.«
»Stehen die beiden noch in Kontakt?«
»Nach vorliegenden Erkenntnissen sehr wahrscheinlich nicht. Ich schätze, dass das nur eine kurze erotische Liaison war. Beide sind als HWG’s bekannt.«
»Wie bitte?«
»Personen mit häufig wechselnden Geschlechtspartnern.«
»Was halten Sie davon, Genosse Jagovich, wenn wir diesen Fred bei nächster Gelegenheit an seine IM-Verpflichtung erinnern?«
»Vorsicht, Genosse Zessel. Der Mann ist intelligent und clever.«
»Soll heißen?«
»Wir wollten ihn schon einmal anzapfen. War aber nichts aus ihm rauszuholen. Er hat Forderungen gestellt, wollte eine Gewerbegenehmigung, eine Zulassung zum Studium, einen Reise-pass. Wir konnten natürlich nicht darauf eingehen, das hätte seine Persönlichkeit gestärkt. Der Mann lebt neben der sozialistischen Gesellschaft, und es geht ihm dabei viel zu gut. Ich traue ihm keine ehrliche IM-Tätigkeit zu, bestenfalls ein Doppelspiel - sofern er dadurch eine Verbesserung seiner persönlichen Situation erreichen könnte.«
»Wir werden ihn im Auge behalten.«
Draußen stellen die Bauarbeiter am Hydranten das Wasser ab, räumen die Absperrungen beiseite und laden alles Gerät auf den Lkw. Der setzt zurück und die Fahrbahn ist wieder frei.
»Bitte nichts überstürzen, Genosse Zessel. Vor allem sollte dieser Fred nicht wahrnehmen, dass wir ihn beobachten. Der ist wirklich gewieft. Es wäre aber durchaus denkbar, dass er uns eines Tages nützlich sein kann.«
Jagovich zündet sich eine Zigarette an, überlegt kurz und sagt: »Wir wissen heute nicht, wie sich das Spiel entwickeln wird. Darum können wir momentan noch nicht einschätzen, ob und in welcher Konstellation wir die beiden irgendwann
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