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Nur Engel fliegen hoeher

Nur Engel fliegen hoeher

Titel: Nur Engel fliegen hoeher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Westfield
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mitwirkten, müssen Sie mit strafrechtlichen Konsequenzen wegen Beihilfe zur Republikflucht rechnen. Es dürfte Ihnen bekannt sein, dass darauf mehrere Jahre Gefängnis stehen.«
    -Herr Wohlgemuth, bitte glauben Sie mir! Ich bin erschüttert! Ich kann es selbst noch nicht begreifen.«
    »Min Jung, solange die Untersuchungsorgane nichts anderes herausfinden, will ich Ihnen erst einmal glauben, dass Sie nichts davon wussten. Ich möchte Ihnen aber noch den väterlichen Rat geben, jetzt keine überstürzten Manöver einzuleiten. Sie segeln in rauer See und haben nur noch wenig Auftrieb.«
    Dann nickt er Frau Krämer zu. Die zieht einen Zettel aus ihrer Kostümtasche und trägt sachlich vor: »Herr Maler, Ihr Personalausweis der Deutschen Demokratischen Republik ist vorläufig eingezogen. Bitte füllen Sie diesen Antrag hier aus und bringen sie ihn noch heute mit zwei Passfotos zur BdVP. Sie erhalten dann umgehend eine PM12, mit der Sie sich künftig ausweisen werden.«
    »Was? Ich - PM12? Die Judenkarte?«
    »Wie bitte?«
    »PM 12 - das ist doch die Judenkarte?«
    »Derartig herabwürdigende Äußerungen zu staatlichen Dokumenten sollten Sie bitte unterlassen. Die PM12 ist ein vorläufiger Personalausweis der Deutschen Demokratischen Republik. Ihnen wird es damit gestattet sein, sich innerhalb des Stadt- und Landkreises Rostock frei zu bewegen.«
    »Heißt das, dass ich ab sofort Rostock nicht mehr verlassen darf?«
    »Es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme zu Ihrem persönlichen Schutz. Sollten Sie aus dringenden familiären Gründen -wie Beerdigungen, Hochzeiten oder dergleichen - oder aufgrund einer dringenden medizinischen Behandlung, die nicht in Rostock
    durchgeführt werden kann, in einen anderen Ort innerhalb der Deutschen Demokratischen Republik reisen wollen, so können Sie jederzeit einen entsprechenden Antrag stellen. Nach eingehender Prüfung wird er dann gewährt. Oder auch nicht.«
    Jonas faltet die Hände und schließt die Augen.
    »Herr Maler«, fährt Frau Krämer fort. »Ich muss Ihnen leider noch eine Mitteilung machen, die Sie sicher nicht erfreuen wird.«
    Jonas sieht sie an und sagt in einer Mischung aus Wut und Verzweiflung: »Jetzt haben Sie es endlich geschafft, mich an die Kette zu legen. Viel schlimmer kann es nicht mehr kommen.«
    »Herr Maler, bitte füllen Sie diesen Wohnungsantrag aus« - sie schiebt ein Formular über den Tisch - »und setzen Sie sich bitte noch heute mit der Abteilung Wohnraumlenkung des Rates der Stadt Rostock in Verbindung. Sie sind dort b ereits avisiert.«
    »Ich brauche keine Wohnung.«
    »Sie dürfen dort unverzüglich einen Antrag auf eine EinRaum-Neubauwohnung abgeben. Und ich kann Ihnen versichern, dass dieser innerhalb der nächsten sechs Wochen großzügig in Ihrem Interesse bearbeitet wird. Sie dürfen sich sogar den Stadtteil aussuchen, in dem Sie eine Ein-Raum-Neubauwohnung beziehen möchten. Das ist ein großzügiges Entgegenkommen von Seiten unserer staatlichen Organe.«
    »Ich verstehe Sie immer noch nicht. Ich habe nicht die Absicht, in ein Arbeiterschließfach zu ziehen. Ich wohne in einem Haus, das meiner Familie gehört, und da bleibe ich.«
    »Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass das nicht möglich ist. Sie müssen innerhalb einer großzügig gewährten Frist von sechs Wochen aus dem Wohnhaus in Langenhagen ausziehen.«
    »Sie können mir nicht mein Haus wegnehmen!«
    »Das machen wir nicht.«
    »Aber genau das versuchen Sie doch.«
    »Ich darf Sie daran erinnern, dass das Wohnhaus vor sechs Jahren auf den Namen Ihrer Frau umgeschrieben wurde, damit sie den staatlichen Kredit zur Förderung junger Künstler in Anspruch nehmen konnte. Damit gehört das Haus Ihrer Frau. Nach den geltenden rechtlichen Bestimmungen hat Ihre Ehefrau gleich mehrere Verbrechen in Tateinheit begangen, nämlich: Republikflucht, Entführung eines minderjährigen Kindes und staatsfeindlicher Menschenhandel. Im Einklang mit den Gesetzen der Deutschen Demokratischen Republik wird das Eigentum von flüchtigen Verbrechern zugunsten des Staates eingezogen.«
    Jonas schweigt eine Weile. Dann steht er so entschlossen auf, dass sein Stuhl polternd umkippt. Er nimmt den Antrag auf Wohnraumzuweisung sowie den Antrag auf PM12 und zerreißt beide Papiere vor den Augen der Funktionäre. Er wirft ihnen die Schnipsel hin und sagt laut und deutlich: »Die größten Verbrecher in diesem Lande seid ihr!«
    Er reißt die Tür auf und geht, ohne eine weiteres Wort zu sagen.
    Jonas überquert den

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