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Nur Engel fliegen hoeher

Nur Engel fliegen hoeher

Titel: Nur Engel fliegen hoeher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Westfield
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Sharp-Tischkopierer. Weil in der DDR niemand ohne Genehmigung etwas kopieren darf, wird das Gerät vom Chefredakteur persönlich bedient.
    »Jonas, ich teile dir hiermit offiziell mit, dass die CDU-Ortsgruppe deines Wohnbezirks einstimmig beschlossen hat, dass du aus der Blockpartei ausgeschlossen wirst, weil du dich nicht am Parteileben beteiligt hast.«
    »Wie bitte? Ortsgruppe? Parteileben? Chef, du weißt doch selbst am besten, dass das alles nur auf dem Papier existiert.«
    »Jonas, das möchte ich nicht gehört haben.«
    »Mein Gott, wir berichten doch alle seit Jahren über ein Parteileben in den Ortsgruppen, das so gar nicht stattfindet. Du selbst hast doch immer gesagt, dass wir uns was aus den Fingern saugen sollen.«
    »Auch das will ich nicht gehört haben. Also, deine Ortsgruppe hat einstimmig beschlossen...«
    »Also, Chef, nun mal langsam. Die Mitglieder der CDU-Ortsgruppe habe ich nie gesehen. Und die mich demnach auch nicht. Die Ortsgruppe existiert nur in den Berichten unserer Zeitung. Zur sogenannten Jahreshauptversammlung habe ich immer nur den Vorsitzenden angetroffen.«
    Der Chefredakteur spricht jetzt betont laut. Dabei kramt er aus seiner Schreibtischschublade eine Flasche Schnaps und füllt zwei Gläser.
    »Also noch mal, Unionsfreund Maler, deine CDU-Ortsgruppe hat auf der letzten turnusmäßigen Versammlung, bei der alle Mitglieder der Ortsgruppe anwesend waren, einstimmig beschlossen, dass du nicht mehr würdig bist, weiterhin Mitglied der Christlich Demokratischen Union zu sein.«
    Der Chefredakteur reicht Jonas ein Glas, prostet ihm zu und flüstert: »Halt die Klappe, du Idiot. Ich hab dir doch vorher gesagt, wie das ablaufen wird.«
    Beide kippen den Fusel runter.
    Dann sagt der Chef laut: »Da du aufgrund des einstimmigen Beschlusses deiner Ortsgruppe nicht mehr Mitglied unserer Partei bist, ist die Vorraussetzung für deine Berufung zum Redakteur der Blockpresse nicht mehr gegeben. Der CDU-Hauptvorstand, namentlich Gerald Götting, hat dich daraufhin aus dem Redakteursstatus abberufen.«
    Jonas stellt sein Glas ab und hört ausdruckslos zu.
    »Und da ein Berufungsverhältnis in unserem sozialistischen Arbeitsrecht über einem Arbeitsrechtsverhältnis steht, endet hiermit dein Arbeitsvertrag als Redakteur.«
    Der Chefredakteur füllt die Gläser nach.
    »Jonas, ich fordere dich hiermit auf, sofort deinen Presseausweis abzugeben.«
    »Den habe ich gestern verloren.«
    »Soso. Dann werde ich darüber eine Aktennotiz machen. Ich muss dich belehren, dass du, solltest du den Presseausweis zufällig wiederfinden, kein Recht mehr hast, diesen zu benutzen.«
    »Noch was?«
    »Kurzum Jonas, du bist ab heute entlassen. Die Betriebsgewerkschaftsleitung hat dieser Entscheidung bereits zugestimmt. Gegen eine Abberufung kannst du keine Rechtsmittel einlegen.«
    Der Chefredakteur kippt den zweiten Schnaps und flüstert: »Scheiß Spiel, Jonas. Tut mir leid, dass alles so gekommen ist, aber ich kann nichts mehr für dich tun.«
    Jonas erhebt sich von seinem Platz, wischt sein Schnapsglas samt Inhalt vom Konferenztisch, sieht seinem Chefredakteur konzentriert in die Augen und sagt laut und deutlich: »Du bist sicher der menschlichste Chefredakteur in diesem Land. Aber ich habe wohl zu viel erwartet, als ich glaubte, du wärst ein Mensch mit Rückgrat.«
     

Kapitel 22
    Pünktlich um 18 Uhr 10 wie an jedem Werktag fährt die schwarze Chrysler-Limousine mit dem amerikanischen Diplomatenkennzeichen von Ost-Berlin kommend in den Grenzübergang Checkpoint Charlie. Marc Davis, Sicherheitschef an der US-Botschaft in Ost-Berlin, ist auf dem Weg nach Hause. Es regnet schon den ganzen Tag. Der Diplomat im schwarzen Anzug hält im geschlossenen Wagen kurz seinen Pass hoch. Man kennt ihn. Er will wie immer möglichst schnell über die Grenze. Doch heute erscheint ein Offizier der DDR-Grenztruppen neben der Fahrertür und signalisiert mit einer Handbewegung, er möge die Scheibe hinunterkurbeln.
    »Darf ich bitte Ihren Reisepass sehen, Herr Davis.«
    »Ich bin Diplomat einer alliierten Vertretung. Sie haben nicht das Recht, mich zu kontrollieren.«
    »Wir bitten um Entschuldigung, Herr Davis, wir möchten bitte nur einen kurzen Blick in Ihren Pass werfen.«
    Marc Davis reicht mit einer Geste der Missbilligung seinen Pass aus dem Fenster und sieht dabei demonstrativ nach vorn, als ginge ihn das alles nichts an. Der DDR-Offizier steckt den Pass in seine Uniformtasche und sagt: »Würden Sie Ihren Wagen bitte rechts

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