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Nur Engel fliegen hoeher

Nur Engel fliegen hoeher

Titel: Nur Engel fliegen hoeher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Westfield
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Dann sagt der Chefredakteur laut und deutlich: »Also, Unionsfreund Maler, ich ermahne dich zu mehr Parteidisziplin im Dienste der Deutschen Demokratischen Republik.«
    »Hoch verehrter Herr Chefredakteur, ich konnte trotzdem nicht umhin, diesen Artikel zu schreiben.« Dabei hält Jonas den gerade verfassten Ausreiseantrag in der Hand.
    »Wie kannst du in meiner Redaktion auf einer Dienstschreibmaschine ein solches Pamphlet verfassen?«
    »Es ist der erste wahrhaftige Beitrag, den ich auf dieser Maschine geschrieben habe.«
    Jonas steckt den Ausreiseantrag in einen Umschlag, adressiert ihn an den Rat der Stadt Rostock, Abteilung Inneres, und gibt ihn im Postamt per Einschreiben auf.
     

Kapitel 20
    In der kleinen Seitenstraße, durch die Marc Davis täglich vom Grenzübergang Friedrichstraße zur US-Botschaft fährt, steht an diesem Morgen ein großer Bauwagen, der die halbe Breite der Fahrbahn einnimmt. In der verbleibenden schmalen Durchfahrt hantieren Bauarbeiter in blauer Arbeitskleidung mit schwarzen Gummistiefeln und gelben Helmen an einem Hydranten.
    An der Tür des Bauwagens ist zu lesen: »VEB Tiefbau und Melioration Berlin«. Im Bauwagen stehen die MfS-Offiziere Oberleutnant Rainer Zessel und Oberleutnant Igor Jagovich hinter einer verdunkelten Fensterscheibe. Auf je einem Stativ haben sie ein Fernglas und eine Fotokamera mit langem Objektiv aufgebaut. Zessel sieht auf die Uhr, es ist fünf Minuten vor acht. Jagovich nickt ihm zu. Zessel spricht in ein Handfunkgerät: »Wasser marsch!«
    Vor dem Bauwagen dreht ein Mann in Arbeitskleidung den unterirdischen Hydranten auf. Ein dicker Wasserschwall sprudelt auf die Fahrbahn. Die Bauarbeiter sperren die Durchfahrt mit rot-weißen Kegeln ab und hantieren mit Rohrleitungen und schwerem Gerät.
    Zwei Minuten vor acht fährt erwartungsgemäß die schwarze Chrysler-Limousine mit US-Kennzeichen vor. Der Fahrer, ein Schwarzer in strahlend weißem Hemd mit blauer Krawatte sowie einer dunklen Sonnenbrille, lässt die Seitenscheibe herunter und fragt, was los sei. Ein Bauarbeiter geht zu ihm, entschuldigt sich wegen des Rohrbruchs und sagt, dass er in wenigen Minuten weiterfahren könne. Der Fahrer des Wagens lässt die Scheibe wieder hoch.
    »Das ist er«, flüstert Oberleutnant Zessel und macht mehrere Fotos.
    Jagovich sieht durch das Fernglas: »Sehen Sie sich den linken Oberarm an, leicht abgewinkelt. Der hat 'ne Knarre drunter. Foto bitte.«
    Zessel drückt mehrmals auf den Auslöser.
    »Sehen Sie seinen Siegelring an der linken Hand?«
    »Fettes Ding aus Gold.«
    »Darauf ist ein Davidstern.«
    Die Kamera klickt.
    »Also nicht nur Nigger, sondern auch Jude?«
    »Genosse Zessel, unterlassen Sie bitte Ihre rassistischen Äußerungen! In den USA hätten Sie jetzt eine Verleumdungsklage am Hals.«
    »Entschuldigung, Genosse Jagovich, war nur so dahergesagt. Ich wusste nicht, dass Schwarze auch Juden sein können.«
    »In diesem Fall mit garantiert besten Beziehungen zum Weißen Haus und zur Wall Street.«
    »Und die Dame neben ihm?«, fragt Zessel, während er weiter fotografiert.
    Auf dem Beifahrersitz neben Davis sieht man eine kleine, sehr attraktive junge Frau mit langem, pechschwarzem Haar. Sie ist ein dunkler, südländischer Typ, trägt ein enges rosa T-Shirt und einen knappen weißen Rock. Auf den Knien hält sie eine weiße lederne Handtasche.
    »Das ist Bianca Bosetti Franco, Sizilianerin, vier Jahre in New York Schauspielkunst studiert, wahrscheinlich wenig erfolgreich. Seit November 87 an der USA-Mission, heute Leiterin der Bibliothek.«
    »Mein Gott, sind Sie gut informiert, Genosse Jagovich.«
    »Ein Tschekist braucht keinen Gott, um gut informiert zu sein.«
    Der Fahrer des Wagens hupt mehrmals. Marc Davis lässt auf der Fahrerseite erneut die Scheibe herunter. Es sieht aus, als wolle er mit jemandem reden. Doch die Bauarbeiter halten Distanz zu dem Diplomatenauto und fühlen sich nicht angesprochen.
    Aus dem RFT-Handfunkgerät im Bauwagen krächzt es: »Der Neger wird unruhig. Wie lange müssen wir ihn noch festhalten?«
    »Solange ihr könnt, mindestens noch fünf Minuten!«
    Die Wasserfontäne auf der Straße wird höher. Die vermeintlichen Bauarbeiter ziehen dicke rote Feuerwehrschläuche quer über die Fahrbahn. Marc Davis legt den Rückwärtsgang ein und blickt über seine rechte Schulter. In dem Moment stoppt hinter ihm ein Lkw, sodass Davis seinen Wagen nicht mehr wenden kann. Im Bauwagen grinsen sich Jagovich und Zessel an und halten die Daumen

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