Nur für Schokolade
ziehen Monate ins Land, und Leszek genießt jeden Tag auf seine Art. Er streicht von Ort zu Ort und vagabundiert
»durch mein Land«, wie er später immer sagt. Sein Land und alles darin gehört ihm, ist sein Eigentum. Leszek bereist ganz Polen, oft zu Fuß, und wenn es der Geldbeutel erlaubt, fährt er auch mit der Bahn oder dem Bus. Von Ort zu Ort, von Stadt zu Stadt, er fühlt sich überall zu Hause.
Meist reicht seine Rente nicht, weshalb er immer wieder betteln muß. Und immer wieder zieht es ihn zurück nach Osieki. seinen Geburtsort, wo sein Onkel Bogdan die Dachkammer für ihn freihält. Wenn es eine feste Station im Leben von Leszek Pekalski gibt, einen Ort, wo er sich immer wieder wohlfühlt, dann ist es diese kleine Kammer.
Bogdan lebt schon viele Jahre alleine in seinem Haus und ist froh, ab und zu durch seinen Neffen Leben in sein sonst so ruhiges Zuhause zu bringen. Er ist dem Alkohol verfallen.
Wodka, sein über alle Sorgen hinweghelfendes Lebenselixier, ist fester Bestandteil seines Lebensmittellagers, auch wenn kein Brot im Hause ist.
Im oberen Stockwerk befindet sich nur ein Raum, die kleine Dachkammer. Bogdan bemüht sich nie, diese Stufen nach oben zu gehen, um zu sehen, wie Leszek dort haust. Die Einrichtung kennt er, sie ist sowieso von ihm. Nur wenn er wieder einmal 36
zuviel getrunken hat, fühlt er sich allein und es wäre ihm dann lieber, sein Neffe würde sich nicht immer in diesem Zimmer verkriechen.
Leszek genießt die Ruhe dieses Raumes, sein Gefühl,
»zuhause« zu sein. Alles was er besitzt, befindet sich in diesem Raum. Den Bettkasten hütet er besonders; braucht aber andererseits keine Angst zu haben, daß entweder sein Onkel oder einer von dessen Saufkumpanen nach oben kommen und seine Schatztruhe entdecken könnten.
Leszek erhält eines Tages vom Gericht die Vorladung zur Verhandlung in Sachen Bernadetta B., der 51jährigen Bäuerin.
Leszek wartet achtundzwanzig Monate bis zu dem Tag, an dem er vor Gericht zu erscheinen hat. Achtundzwanzig lange Monate kann er sich frei bewegen. Niemand außer ihm weiß wirklich, was er in dieser langen Zeit getrieben hat. Am 21.
November 1992 hat Leszek Pekalski vor dem Kreisgericht in Bytow wegen Vergewaltigung von Bernadetta B. zu
erscheinen.
»Zum Aufruf kommt die Sache Leszek Pekalski«. verkündet der Gerichtsdiener auf dem Gang und betrachtet den Mann, der soeben den Gerichtssaal betreten will. »Sie sind Leszek Pekalski?« fragt der Beamte und Leszek nickt. »Bitte treten Sie ein.«
Er öffnet ihm die Tür zum Sitzungssaal, wobei er darauf achtet, daß der Abstand zwischen ihnen möglichst groß bleibt.
Leszek tritt nach vorne ans Richterpult und verneigt sich ehrfürchtig vor dem hohen Rat. So steht er vor seinem Richter, der ihn von oben bis unten mustert.
Der Staatsanwalt, ein dunkelhaariger Mann mit grauen
Schläfen, verliest die Anklageschrift, nicht ohne ständig den vor ihm sitzenden Angeklagten zu beobachten. »Was sagen Sie zu den Vorwürfen des Staatsanwaltes, Angeklagter?« lautet die Frage des Gerichts.
Leszek, den Kopf zum Boden geneigt, die Arme auf dem
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Rücken verschränkt, als hätte er größte Ehrfurcht vor dem Gericht, spricht leise, fast verschämt.
»Ich bereue es so sehr, Herr Rat, es war, weil ich nie eine Frau bekam, und da überfiel es mich einfach. Wahrscheinlich habe ich zuviel getrunken an diesem Tag«, lügt er, denn er hat noch nie getrunken. Leszek verabscheut Alkohol. Für ihn eine Schutzbehauptung, die mangels genauerer Informationen über ihn niemand widerlegen kann.
»Es tut mir ja so leid, daß ich dieser braven Frau so wehgetan habe, ich will es auch nie wieder tun«, versucht er in fast kindlicher Art, den Richter zu beeindrucken.
»Sie geben alles zu, was Ihnen der Staatsanwalt vorwirft?«
Der Richter ist leicht verwirrt, es scheint ihm zu mühelos.
»Ja, Herr Richter, alles gebe ich zu und ich bereue es auch ganz fest«, gibt Leszek zur Antwort.
Als ihn der Staatsanwalt danach auffordert, etwas über sein Leben zu erzählen, leuchten seine Augen auf – er weiß, das ist seine Stunde. Er beginnt, weit ausholend seine Jugend zu schildern, mit allen Facetten des Elends, die er erlebt hat. Und Leszek hat viel zu erzählen. Er merkt sehr schnell, wie gut das bei Gericht ankommt, wenn er von seiner unheilvollen
Kinderzeit berichtet. Alle im Gerichtssaal sind beeindruckt von den Worten dieses einfachen, etwas verwahrlosten Menschen.
Am Ende seiner Ausführungen sind alle
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