Nur für Schokolade
Anwesenden voller Mitleid. Und verblüfft von der Freundlichkeit und Reue dieses so leidgeprüften Mannes. Selbst der Vorsitzende Richter, der in seiner langen Dienstzeit sehr viele Erfahrungen gesammelt hat, ist beeindruckt von den Ausführungen des Angeklagten. Wie ein Häufchen Elend steht er vor ihm.
Keiner im Saal zweifelt auch nur einen Augenblick daran, daß dieser einfältige Mensch niemals wieder zu solch einer Tat fähig wäre. Die Beratung des Gerichts für die Urteilsfindung dauert daher nicht lange. Der Richter sieht es als erwiesen an, daß es sich bei der Tat des Angeklagten um eine einmalige 38
Verfehlung handele. Da Leszek Pekalski noch nicht vorbestraft ist. verkündet er das Urteil: »Zwei Jahre Gefängnis auf fünf Jahre Bewährung!«
Leszek geht langsam, vornübergebeugt, in seiner für ihn typischen Art zum Ausgang des Gerichtssaales. Noch einmal richtet sich sein Blick zurück, zum Vorsitzenden Richter und ganz leise, mit großer Erleichterung, sagt er: »Danke« – so, daß es jeder hören kann. Dann verläßt er zufrieden den Raum. Der Staatsanwalt blickt ihm angestrengt nach. Er kann ihn noch nicht einordnen. Kein ständig volltrunkener Penner, obwohl er optisch diesen Eindruck macht, ein Vagabund, mit ein paar Mark Rente jeden Monat …
»Ein Mensch, der einmal gestrauchelt ist, weil er nie das bekam, was er wollte«, so entläßt der Staatsanwalt diesen Menschen aus seinen Gedanken.
»Ein trauriger Fall«, stellt der Richter nach der Verhandlung fest. Er kann nicht ahnen, wen er soeben als freien Mann entlassen hat. Der Staatsanwalt schließt die Akte jedoch nicht.
Er wird das Gefühl nicht los, daß mit der Persönlichkeit dieses Mannes etwas nicht stimmt.
Er hatte vergessen, daß er die Untersuchung Leszeks längst angeordnet hat und daß sich bereits ein Gutachten bei der Staatsanwaltschaft befindet, das aber – wie vieles andere –
nicht bei ihm angekommen ist. Der Staatsanwalt beschließt, daß Leszek Pekalski sich erneut in einer psychiatrischen Klinik untersuchen lassen muß. Als er nach Wochen von der Klinik einen Termin erhält, schickt er die Polizei auf die Suche nach Leszek, doch sie hat kein Glück. Leszek ist längst auf Reisen, unterwegs in Polen. Immer wieder spricht die Polizei bei Pekalskis Onkel Bogdan vor, aber vergebens: »Leszek ist nicht da, er ist in Polen unterwegs!« Da man keine Anhaltspunkte sieht, wo sich Leszek aufhalten könnte, teilt die Polizei ihr dürftiges Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft mit. Die schließt daraufhin ebenfalls die Akte Leszek Pekalski.
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Ein ungeklärter Fall
Der für das Gericht in Bytow zuständigen Staatsanwaltschaft liegt zu dieser Zeit, als Leszek seine Verhandlung bestreitet, ein ungeklärter Fall vor. Man scheint nicht weiterzukommen im Fall Sylwia R., einem 17jährigen Mädchen aus dem
dortigen Landkreis, das auf brutalste Weise getötet wurde. Sie war neu hinzugezogen und niemand scheint sie richtig gekannt zu haben. Obwohl alle zur Verfügung stehenden Polizeikräfte damit beauftragt waren, nach verwertbaren Spuren zu suchen, kam die Staatsanwaltschaft nicht weiter. Wer konnte das Mädchen getötet haben? Am 30. Juni 1992 teilt die Kreis-staatsanwaltschaft von Bytow den Eltern des Opfers schließlich mit, daß die Untersuchungen im Falle Sylwia R. »eingestellt worden sind, da der Täter nicht ermittelt werden konnte«. Die Anklage gegen Unbekannt lautete auf: »Mord, Raub,
Vergewaltigung und Leichenschändung.«
Ermittlungstechnische, standardisierte Methoden werden hier nicht angewandt, Fälle nicht verglichen, Beweismaterial nicht oder nur unzureichend gesichert oder sogar verschlampt.
Die Einstellung der Ermittlungen erfolgt fünf Monate vor Leszek Pekalskis Verurteilung als Vergewaltiger der
51jährigen Bäuerin. Niemand ahnt einen Zusammenhang
zwischen beiden Taten. Leszek wird, nachdem er die Tat an Bernadetta B. gestanden hat, in den Polizeiakten nicht einmal als Vergewaltiger geführt. Die einzige Person, die etwas sagen könnte, schweigt – aus Scham und Angst. Denn bereits einen Tag vor ihrer Ermordung traf Sylwia ihren Mörder – und sie war nicht allein. Ihre beste Freundin, Janina C. begleitete sie.
Doch Janina sagte bei der Polizei bewußt falsch aus, damit ihre Eltern nicht erfahren, daß die beiden Mädchen sich mit einem fremden Mann getroffen haben. Sie schwieg, obwohl sie den Mörder hätte beschreiben und man ihn dadurch hätte dingfest machen können – früh, viel
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