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Nur Mut: Roman

Nur Mut: Roman

Titel: Nur Mut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Bovenschen
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anderen Ort. Frühe dreißiger Jahre, Croisette, vielleicht, dachte Johanna, oder noch früher: Bois de Boulogne 1913.
    Der Mann trug einen tadellos geschnittenen sandfarbenen Anzug. Dreiteilig. Leichter Gabardine. Dazu eine leuchtende weinrote Krawatte. Seide, unverkennbar. Sicher ragte da auf der ihr abgewandten Seite ein Ziertüchlein aus seiner Brusttasche. Einen ganz ähnlichen Anzug hatte einst ihr Mann besessen. Sie hatte ihn einige Male in die Reinigung gebracht. Aber ansonsten war da ja nicht die geringste Ähnlichkeit. Keine Spur.
    Jetzt kam der rundliche Mann auf die Höhe ihres Fensterausschnitts. Und – sie konnte es nicht glauben – er machte einen kleinen albernen Hopser, dabei drehte er den Kopf in ihre Richtung und zog seinen Hut. Einen Schrittwechsel, wie ihn Pferde bei der reiterlichen Anweisung zum fliegenden Galoppwechsel taten und wie er unter den Menschen nur den Kindern zustand.
    Das war blödsinnig. Johanna nahm die Brille ab und rieb sich die Augen.
    Hatte es diesen kleinen Hüpfschritt wirklich gegeben? Oder verzerrte sich ihre Wahrnehmung schon ins Absurde?
    Johanna setzte die Brille wieder auf.
    Der Mann verließ würdevoll ihr Blickfeld.

Bibliothek (11 Uhr 58)
    Janina kam in die Bibliothek, um das Kaffeegeschirr abzuräumen und zu fragen, wo die beiden das Mittagessen zu sich nehmen wollten.
    »Na auf keinen Falle mit den Mumien im Esszimmer«, sagte Dörte, und: »Was gibt’s denn?«
    »Risotto und …«
    Dörte unterbrach sie:
    »O nee, bah, immer dieses schlabbrige Zeug. Nich für uns.«
    Und ohne Janina weiter zu beachten, sagte sie zu Flocke:
    »Weißte was, ich hol uns schnell ne Mafiatorte. Is ja nich weit zu Mario.«
    Und mit diesen Worten war sie auch schon verschwunden.
    Flocke war halb aufgestanden und sah ihr hilflos hinterher. Die beiden Sätze, die er eigentlich hätte sagen wollen, »Ich mag Risotto« und »Ich kann dich ja begleiten«, waren jetzt sinnlos.
    Unschlüssig sah er zu Janina.
    Die musste lachen, als sie den langen Kerl da so stehen sah mit eingeknickten Knien, baumelnden Armen und ratlosem Gesicht.
    Fast tat er ihr leid. Aber da musste der wohl durch. Warum, dachte sie, sind es immer die Netten, die so schlecht behandelt werden?
    Janina nahm das Tablett auf, lächelte freundlich, nickte ihm aufmunternd zu und verließ die Bibliothek.
    Flocke setzte sich wieder. Er gestand sich gegen immer noch massive innere Widerstände ein, dass ihm Dörtes Verhalten nicht gefiel.
    Ihr Glanz verblasste etwas, und in dem Maße, in dem sich sein verliebtes Herzklopfen minderte, nahm das Pochen an seinem Zahn zu. Oder umgekehrt, er konnte und wollte das jetzt nicht entscheiden. Jedenfalls: Die Aussicht, in eine knusprige Pizza beißen zu müssen, war ein Horror. Da wäre Risotto allemal gnädiger gewesen.
    Flocke war verwirrt. Er wollte nachdenken. Aber er kam nicht dazu, weil Charlotte wieder in der Bibliothek erschien.
    Flocke stand auf.
    »Bitte, bleiben Sie sitzen«, sagte Charlotte.
    Flocke setzte sich wieder. Ihm war, als habe er die Zeit, seit er sich in der Villa befand, ausschließlich mit Aufstehen und Hinsetzen verbracht.
    »Wo ist Dörte?«
    »Sie holt Pizza.«
    »Mögen Sie kein Risotto?«
    »Dörte fand …«
    »Ich verstehe. Warum sprechen Sie so komisch?«
    »Zahnweh.«
    »Dann sollten Sie nicht Pizza essen, sondern zum Zahnarzt gehen, junger Mann.«

III
    Salon (12 Uhr 07)
    Nadine war bei ihrer Programmsuche auf die Verfilmung eines Trivialromans gestoßen. Sie stellte den Ton lauter.
    »Jonathan tut dir nicht gut, Heather«, sagte eine sympathische ältere Dame zu einer hübschen jungen Frau. »Ich habe kein gutes Gefühl in seiner Gegenwart.« »Ach, liebe Tante Meredith, du bist immer so besorgt«, sagte die Hübsche, begleitet von einem dümmlichen Lachen, das jugendliche Unbesonnenheit anzeigen sollte. Die Kamera schwenkte auf dunkle Wolkentürme über einer weiten rauen Landschaft. Schottland vermutlich.
    Nadine stellte den Ton noch lauter.
    Und obwohl sich niemand wegen dieser akustischen Zumutung beschwerte, sprach Nadine jetzt laut und aggressiv abwehrend in den Fernsehton hinein, als müsste sie sich gegen eine Flut von Vorwürfen wehren:
    »Ich will nichts mehr lesen, hören oder sehen, das mich beunruhigt. Ich führe einen Krieg gegen meine Hinfälligkeit. Einen Krieg, den ich nicht gewinnen werde. Das ist mehr als beunruhigend. Und wie das so ist, in Kriegen wollen die Menschen Lustspielfilme sehen. Denkt an die UFA-Produktion im Zweiten

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