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Nur Mut: Roman

Nur Mut: Roman

Titel: Nur Mut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Bovenschen
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Weltkrieg. Ich will nur noch Filme sehen, deren Handlung absolut vorhersehbar ist, deren gutes Ende ich kenne vom ersten Bild an. Seit ich das schlechte Ende vor Augen habe, beschwöre ich das gute Ende. Nur zu: Klischee an Klischee, so gefällt es mir jetzt.«
    Und obwohl weiterhin niemand etwas sagte, wurde ihr Ton immer kämpferischer, und sie war sogar aufgestanden und einen Schritt auf Leonie und Johanna zugegangen:
    »Und noch etwas: Ich will mich nicht mehr genieren, wenn ich etwas tue, das unter deinem Niveau ist, Johanna, oder unter deinem, Leonie, oder unter dem von Charlotte, oder sogar noch unter meinem eigenen. Das ist mir völlig egal, das interessiert mich einfach nicht mehr, da könnt ihr euch hinter meinem Rücken lustig machen, wie ihr nur wollt, so wie ihr euch auch über meine Kleidung lustig macht, bitte sehr, auch das ist mir egal, die Belustigung schenke ich euch, ich …«
    Sie brach ab, und für einen Moment wurden die Filmstimmen wieder hörbar …
    »Darf ich hoffen, Heather, dass Sie mich heute Abend auf den Empfang begleiten werden?«, fragte der Schönling die Junge. »Ja, gern, Jonathan«, hauchte sie.
    Aber niemand schenkte dem Beachtung.

    Nadine stand erstarrt, wie versteinert mitten in dem großen Raum. Es war, als habe sie sich verloren, als habe sie vergessen, warum sie hier war, warum sie überhaupt irgendwo war …

    ›Himmel‹, dachte Leonie und ›Erbarmen‹. Und dann: Ja, so ist das wohl, die Kranken, dachte Leonie, die Alten, die Todgeweihten wollen ihre Anklagen in die Welt hinausschreien, sie selbst aber wollen nichts Ungutes mehr hören und sehen, sie sind versessen auf allerlei Heiterkeiten und Harmlosigkeiten. Und hatte sie sich nicht selbst schon ertappt bei dieser Sehnsucht nach einer Linderung im Seichten? Aber auf die Dauer war der Kitsch kein wirksames Gegengift. Das wusste sie, und sie nahm an, dass Nadine es im Grunde auch wusste. Und sie dachte einmal mehr an den Leitspruch ihrer Mutter: Packe das Glück, wo du nur kannst, das Leid ist dir gewiss. Ja, so war das, dachte Leonie.
    Johanna stand auf und strebte auf ihre Gehhilfe gestützt der Türe zu.
    Das Gehen fiel ihr sichtbar schwer.
    »Wo gehst du hin?«, fragte Leonie, aber nicht, weil es sie interessierte, nur, weil sie das Bedürfnis hatte, eine gewöhnliche Frage zu stellen und ihre eigene Stimme zu hören.
    »Ich gehe in mein Zimmer, dort rauche ich sehr viel und schreibe den letzten Satz meines Romans«, sagte Johanna.

Drinnen
    Es gibt Erinnerungen, die sind wie ein Überfall. So erging es jetzt Johanna auf dem Weg in ihr Zimmer. Nadines Verzweiflung hatte sie nicht kalt gelassen, im Gegenteil, sie hatte sie tief berührt. Sie war nicht so abgebrüht, wie sie sich gab. Ihr Panzer, die schroffe eigenbrötlerische Haltung, hatte Risse. Das hatte wohl den Erinnerungsüberfall ermöglicht. Seltsamerweise hatten die Bilder, die sich jetzt einstellten, überhaupt nichts mit den Ereignissen im Salon und Nadines Verzweiflung zu tun.
    Manuel, das Bild des einzigen Mannes, den sie wirklich geliebt hatte, schob sich ihr vor Augen. So deutlich hatte sie ihn seit Jahrzehnten nicht mehr wahrgenommen. So war es in den ersten Jahren nach der Trennung gewesen: dass sie ihn gesehen hatte, jede Pore, das Farbenspiel zwischen Grün und Grau in seinen Augen, die raue Wange am Abend, dass sie seinen Geruch wahrgenommen hatte, seine Stimme, seine Fingerspitzen auf ihrem Gesicht, sie hatte ihn so deutlich ersehnen können, dass sie manchmal sicher war, sie müsse nur die Augen öffnen und er wäre wirklich anwesend.
    Manuel, flüsterte sie.
    Er war ein mittelloser Ethnologe. Ein Geheimtipp in der Intellektuellenszene. Komm mit mir, hatte er gesagt. Und wovon werden wir leben? Dort in den Anden braucht man nicht viel zum Leben, hatte er gesagt.
    Zwei Tage später war sie mit ihrem Mann nach San Francisco gereist. Er hatte den Auftrag, an der Oper die Salome zu inszenieren. Sie hatte eine Einladung von mehreren kalifornischen Universitäten. Sie sollte aus ihren Werken lesen, auch Gespräche über ihre Literatur waren geplant. Und so geschah es dann auch. Eine fabelhafte Reise, von außen gesehen. Ein Erfolg nach dem anderen. Rauschend. Berauschend. Die Sekretärin ihres Mannes, die seine Geliebte war, war auch mitgekommen.
    Manuel. Zwei Jahre später erhielt sie eine böse Nachricht: Sie glaubte Manuel auf Forschungsreisen in Lateinamerika, da war er schon ein Jahr tot gewesen.

Bibliothek (etwas später)
    Der Junge tat

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