Nur wenn du mich hältst (German Edition)
bei ihr. Man schien ihr ihre Vorfreude anzusehen, denn ihre Mutter gab ihr einen kleinen Schubs.
„Geh nur“, sagte sie ihr ins Ohr. „Ich weiß, dass du dich darauf gefreut hast, sie zu hören.“
Kim nickte und drängte sich bis zur Bühne vor. Auf dem Weg begrüßte sie die Leute, die sie kannte, und wunderte sich erneut darüber, wie viele es schon waren. Sie hatte an diesem Ort etwas Unerwartetes gefunden – ein gewisses Gemeinschaftsgefühl. Über der gesamten Veranstaltung lag die Aura von Zusammengehörigkeit. Die Menschen hier wünschten einander aufrichtig nur das Beste. Vorne an der Bühne stand Sophie Bellamy-Shepherd und strahlte ihren Mann Noah an, den Drummer der Band.
„Es ist das erste Mal, dass ich sie zusammen spielen höre“, wandte Kim sich an sie.
„Ich glaube, du wirst beeindruckt sein.“
AJ hielt sich mit einer Gruppe Kinder seines Alters vorne am Bühnenrand auf. Kim und Sophie beobachteten sie, während die Männer ihre Plätze einnahmen und kurz die Instrumente stimmten.
„Wie geht es ihm?“, fragte Sophie.
„Er macht vieles mit sich selbst aus.“ Tiefe Gefühle wallten in ihr auf, als sie AJ anschaute. Im Moment funkelten seine Augen vor gespannter Erwartung, sein Blick war fest auf Bo gerichtet. „Er wirkt ganz okay, doch er braucht seine Mutter, das ist nicht zu leugnen. Es ist, als würde das Licht in seinem Inneren jeden Tag ein wenig dumpfer, egal, wie sehr Bo sich bemüht, ihn bei Laune zu halten. Das hier bringt ihm gerade Spaß, aber er wird morgen aufwachen und seine Mutter mehr denn je zuvor vermissen.“
„Seine Mom muss auch am Boden zerstört sein“, sagte Sophie. „Bevor ich nach Avalon gezogen bin, lebte ich von meinen Kindern getrennt. Das war das Schwerste, was ich je getan habe. Ich wünschte, ich könnte sagen, dass es für AJ bald ein Ende hat, aber die Mühlen des Systems mahlen entsetzlich langsam. Unser Notfallantrag ist irgendwo im Gerichtsdickicht untergegangen, womit sich mir die Frage stellt, welchen Teil des Wortes Notfall sie dort nicht verstanden haben.“
Kim hatte sich in letzter Zeit ein wenig informiert und wusste inzwischen, was für ein Morast das Einwanderungssystem war. Es war eins dieser Themen, über die sie nie nachgedacht hatte. Bis jetzt, da ein Kind betroffen war, an dem ihr sehr viel lag. „Ich hatte in der Vergangenheit auch einige Klienten, die mit Einwandererproblemen zu kämpfen hatten“, sagte sie. „Ich will ja nicht skeptisch klingen, aber Sportler scheinen es mit der INS leichter zu haben als normale Arbeiter.“
„Ja, das ist schwer zu übersehen.“
„Einer meiner Klienten war mal kurz davor, ausgewiesen zu werden. Pico, ein Baseballspieler aus der Dominikanischen Republik. Ich habe lange nicht mehr an ihn gedacht.“
„Was ist mit ihm geschehen?“, fragte Sophie interessiert.
„Ich arbeitete mit ihm, als ich ein Praktikum bei meiner letzten Firma gemacht habe. Raul de Gallo – er war im Nachwuchskader der Dodgers. Seine Mannschaftskollegen hatten ihm wegen seiner Größe den Spitznamen Pico de Gallo verpasst. Er hatte vielversprechende Ansätze, doch die Probleme mit der Einwanderungsbehörde lenkten ihn so ab, dass es sich auf sein Spiel auswirkte. Kurz bevor er abgeschoben werden sollte, wurde das Urteil aufgehoben.“
„Weißt du noch, weshalb?“
„Es hatte irgendetwas mit seiner Mutter zu tun, glaube ich. Es stellte sich heraus, dass sie auf den amerikanischen Virgin Islands geboren worden war, was bedeutete, dass sie sich hätte einbürgern lassen können. So habe ich es zumindest in Erinnerung.“
„Wir haben jemanden auf die Überprüfung von Yolanda Martinez’ familiärem Hintergrund angesetzt“, erklärte Sophie. „Aber die Akten sind der reinste Albtraum.“
„Wir dürfen die Hoffnung trotzdem nicht aufgeben.“
„Jetzt geht es gleich los.“ Sophie zeigte in Richtung Bühne.
Kim war genauso aufgeregt wie AJ. Die Band bestand aus den ungleichen Männern Bo am Bass, Noah am Schlagzeug, einem örtlichen Polizisten namens Rayburn Tolley an den Keyboards sowie dem Sänger und Gitarristen Eddie Haven. Bo behauptete, Eddie sei der einzig echte Musiker unter ihnen, was Eddie nun mit einer perfekten Interpretation von Green Days „When I Come Around“ bewies.
Die größte Überraschung jedoch war Bo Crutcher. Er sah aus, als würde er nie etwas anderes als abgewetzte Jeans, schwarze T-Shirts und ein Bandana um den Kopf tragen. Der Bass lag sicher in seinen großen Händen, und
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