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Nur wenn du mich hältst (German Edition)

Nur wenn du mich hältst (German Edition)

Titel: Nur wenn du mich hältst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Wiggs
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mit anderen Augen. Für ihn war alles grau – grauer Winterhimmel, schmutzig grauer Schnee auf den Straßen, ein Grau, das er in der heißen Sonne von Texas noch nie gesehen hatte. Sicher, es gab Augenblicke, in denen Bo ihn abzulenken versuchte, was ihm auch manchmal gelang, aber jeder Moment war erfüllt von dem Wissen, das seine Mutter in Schwierigkeiten steckte und er keine Möglichkeit hatte, ihr zu helfen.
    Jeden Tag näherte er sich der Bushaltestelle wie ein zum Tode Verurteilter. Obwohl es dumm gewesen war, wegzulaufen, und obwohl er sich zwang, sich an Avalon zu gewöhnen, fühlte er sich immer noch so – er wollte überall sein, nur nicht hier. Da er wusste, dass alles, was er tat, Einfluss auf das Schicksal seiner Mutter haben könnte, benahm er sich mustergültig. Er würde einen Weg finden müssen, wieder mit ihr zusammen sein zu können, aber derzeit hatte er keine rechte Ahnung, wie er das anstellen sollte. In der Zwischenzeit hangelte er sich von Tag zu Tag, den er in seinem kleinen Taschenkalender, der immer in seinem Rucksack steckte, auskreuzte.
    Die Schule lag in einem altmodischen Monolith aus Backstein und Beton, der sich aus einer weiten, schneebedeckten Fläche erhob, um die sich Bäume und Fahrradständer gruppierten, die jedoch so tief unter Schnee vergraben lagen, dass nur die obersten Stangen sichtbar waren. AJ kam die Schule und das Drumherum wie ein anderer Planet vor, vielleicht der Eisplanet Hoth in Star Wars . Im Inneren des Gebäudes gab es ein Gewirr von Fluren, die mit Spinden zugestellt waren, deren Türen grundsätzlich mit lautem Knall geschlossen wurden. Dazu kamen die vielen Kinder, die alle derart anders waren als er, dass es sich genauso gut um Aliens aus dem Weltraum handeln könnte. Zischende Heizlüfter erfüllten die Klassenzimmer mit Dampf und feuchter, unangenehmer Wärme.
    Er saß schweigend in unendlich erscheinenden Stunden, die von Lehrern gehalten wurden, die in ihrem Yankee-Akzent vor sich hin monologisierten. Jede Chance, die sich ihm bot, nutzte er, um zum Computerlabor zu laufen und sich ins Internet einzuloggen. Er hoffte trotz allem noch, im Cyberspace irgendjemanden oder irgendetwas zu finden, der oder das ihm und seiner Mutter helfen könnte.
    Zu Hause hatte er sich immer einen Computer gewünscht, doch dafür war kein Geld da gewesen. Und selbst wenn sie sich irgendwie einen hätten leisten können, wovon hätten sie den Internetanschluss bezahlen sollen? Er hatte sich also mit den Geräten in der Schule abgefunden, bisher hatte er auch noch nie so dringend einen Computer gebraucht, denn jetzt musste er einen Weg finden, seine Mom zu retten. Er überlegte, ob er versuchen sollte, mit einigen seiner alten Freunde per E-Mail und Instant Messenger in Kontakt zu bleiben, aber die hatten es alle nicht so mit dem Schreiben, die meisten telefonierten nicht einmal gerne. In Texas hatten seine cholos und er in der Regel einfach so Zeit miteinander verbracht, dazu hatte es keines Computers und keines Telefons bedurft.
    Bo ließ ihn seinen Mac benutzen, wann immer er wollte, mit dem Ergebnis, dass ihn schließlich die Polizei aus Avalon ausspioniert hatte. Hier in der Schule war er vermutlich genauso leicht aufzuspüren, irgendwie fühlte er sich trotzdem geschützter.
    Als er an diesem Nachmittag ins Computerlabor kam, waren alle Terminals von Kindern besetzt, die Headsets trugen und völlig vertieft schienen, obwohl die meisten von ihnen wahrscheinlich Spiele spielten oder versuchten, die Firewall der Schule zu knacken, um sich in irgendwelchen Chatrooms zu tummeln. Sein Lieblingscomputer hinten in einer Ecke, der wie eine Festung von drei Seiten von Sichtschutzwänden umgeben war, wurde von einem pummeligen Mädchen mit krausen Haaren belegt. Sie war in der achten Klasse und hieß Chelsea Nash. Er erkannte sie, weil sie ab und zu in Dr. Shepherds Tierklinik aushalf. Er hatte gesehen, wie sie die Hunde mit einem Wasserschlauch abspritzte, im Stall arbeitete und Schubkarren voller Pferdemist auf den Misthaufen fuhr, der wie ein großer Vesuv dampfend hinten auf dem Hof aufragte.
    Sie war mit Max Bellamy befreundet, dem Sohn von Mrs Bellamy-Shepherd. Das war etwas, das ihm am Leben in der Kleinstadt aufgefallen war. Irgendwie war jeder mit jedem verbunden.
    Nur er nicht. Er gehörte nicht dazu. Und er wollte auch nicht dazugehören. Was hatte das für einen Sinn? Sobald er sich zu sehr heimisch fühlte, verlor er womöglich aus den Augen, dass seine Mutter weit

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