Nur wenn du mich hältst (German Edition)
ahnen sollen, dass sie ihn nie wiedersehen würde?
Die Chancen, dass ein Golfer von einem Blitz getroffen wurde, standen eins zu einer Million, und doch war das Unglaubliche geschehen.
Die Leute sagten, es sei ein Segen, dass er bei etwas gestorben war, das er so geliebt hatte, und dass der Tod sofort eingetreten war und er keinerlei Angst oder Schmerzen verspürt hatte. Nur ein kurzes kosmisches Blinzeln, und Grandpa war weg. Kim verstand, dass man sie trösten wollte, sie versuchte sogar, es ebenso zu sehen, doch sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte es nicht.
Danach bettelte sie immer ihren Vater an, sie zu begleiten, er war jedoch stets zu beschäftigt. Also ging sie alleine, fuhr mit dem Bus oder der U-Bahn zum Shea Stadion oder zum Madison Square Garden. Wenn sie ein Spiel besuchte, fühlte sie sich ihrem Großvater näher. Sie ließ sich von der Aufregung mitreißen und vermisste ihn ein kleines bisschen weniger. Manchmal schaffte sie es sogar, ihren Verlust für einige Minuten zu vergessen.
Während sie dalag und sich erinnerte, gab sie sich ein Versprechen. Ihre Liebe zum Sport war ein Geschenk ihres Großvaters, und auf gar keinen Fall würde sie sich die von Lloyd Johnson oder sonst irgendjemandem kaputtmachen lassen.
Es war verlockend, dem langsam durchs Fenster sickernden Licht den Rücken zu kehren, sich die Decke über die Ohren zu ziehen und noch einmal einzuschlafen. Für Tage oder Monate. Für immer.
Unglücklicherweise ertappte sie sich jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, dabei, an jene Nacht in Los Angeles zu denken. Ihr war klar, dass Lloyd das Problem war und nicht sie, doch während sie die Szene wieder und wieder durchging, fragte sie sich, ob sie etwas hätte anders machen können, ob sie die Katastrophe hätte abwenden können. Sobald sie merkte, dass ihre Gedanken in diese Richtung gingen, schüttelte es sie. Sie trug keine Verantwortung für Lloyds Ego und seinen schlechten Charakter.
„Okay“, sagte sie und warf die Decke von sich. Im Spiegel über der Kommode erhaschte sie einen Blick auf ihr langes rotes Haar. Du lieber Himmel . „In diesem Sinne, stehen wir auf und schauen, was der Tag so bringt.“
Kim ging nach unten und fand eine Fremde in der Küche vor. Im Fernseher, der auf dem Tresen stand, liefen Zeichentrickfilme. Gut, keine wirklich Fremde. Es war eine von den Gästen ihrer Mutter, Daphne McDaniel. Sie würde sich daran gewöhnen müssen, im Haus auf Nicht-Familienmitglieder zu stoßen.
„Wow, das weckt Erinnerungen“, sagte Daphne mit einem Blick auf ihr Camp-Kioga-Sweatshirt und stellte den Fernseher leiser. „Kaffee?“
„Danke, gerne.“ Kim nahm dankbar die dampfende Tasse entgegen und nippte an dem Gebräu. Zum Sweatshirt trug sie eine uralte Jeans, dicke Socken und die Crocs, die ihre Mutter ihr gegeben hatte. Bevor sie nach unten gegangen war, hatte sie sich schnell den Schlaf aus dem Gesicht gewaschen und ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. „Diese Klamotten sind Überbleibsel von vor hundert Jahren. So fühlen sie sich zumindest an. Ich … bin mit leichtem Gepäck gekommen.“ Alle ihre Besitztümer befanden sich in L.A, die meisten in einem Lagerraum in der Nähe vom Manhattan Beach Boulevard. Sie hatte ihre Wohnung aufgelöst, um mit Lloyd zusammenzuziehen. Im Laufe der Zeit würde sie ihren Hausstand herbringen lassen, doch daran wollte sie im Moment nicht denken.
Sie verspürte einen sonderbaren Drang, Daphne alles zu erzählen, obwohl sie sie gerade erst kennengelernt hatte. Ein Mädchen brauchte seine Freundinnen. In ihrer Welt – in ihrer ehemaligen Welt – waren Freunde und Feinde nicht klar zu trennen und schlüpften nahtlos von einer Rolle in die andere. Es gab sogar ein Wort dafür. „Freindinnen“. Man konnte ihnen nicht vertrauen. Kim fiel auf, dass sie nicht viele Freunde hatte. Da waren die Arbeitskollegen, natürlich, aber sonst niemand, den sie wirklich als Freund oder Freundin hätte bezeichnen können. Sie hoffte, Daphne würde sich als weniger oberflächlich herausstellen.
„Ich werde nachher in den Ort fahren und ein paar Sachen kaufen müssen“, sagte sie.
„Versuch’s bei Zuzu’s Petals am Marktplatz. Das ist die beste Boutique der Stadt.“
Kim hatte bisher immer in Läden eingekauft, in denen Filmstars mit großen Hüten und Frauen mit mehr Geld als Verstand shoppen gingen. Sie zählte sich selbst zu dieser Gruppe und schwor sich, das zu ändern. „Danke. Bist du, als du jünger warst,
Weitere Kostenlose Bücher