Nur wenn du mich hältst (German Edition)
Wand einnahm, an der eine Werbeuhr von Rolling Rock Beer hing. Der Junge rührte sich nur ein wenig, zog die Knie an und drehte ihm den Rücken zu.
Bo schnappte sich ein Kissen von seinem Bett, bettete AJs Kopf darauf und steckte die Überdecke um ihn fest. Dann zog er die Vorhänge zu und stand ein paar Minuten vollkommen still und ratlos da. Was nun?
Ihm war nie aufgefallen, wie klein seine Wohnung war, wie zugestellt. Er hörte die Geräusche aus der Kneipe unter ihm. War es hier immer so laut? So unerträglich? Mit einem Mal störte es ihn wahnsinnig. Er ging zum Kühlschrank und nahm sich ein Bier. Der Kronkorken löste sich zischend.
Er saß lange da, nippte an dem Bier und dachte an seine eigene Kindheit. Auch seine Mutter war alleinerziehend gewesen. Sie hatten in allen möglichen Wohnungen gewohnt, keine davon irgendwie besonders. Bis heute war es ihm eigentlich immer ziemlich egal gewesen, wo er seinen Kopf zum Schlafen hinlegte, doch mit dem Jungen wurde ihm auf einmal bewusst, was für eine kleine, schäbige Bude er hatte. Er wusste, dass er seinen Sohn niemals blamieren wollte. AJ sollte sich nie dafür schämen, wer er war oder wo er wohnte. Er selbst hatte das hinter sich, und die lebhaften Erinnerungen daran verfolgten ihn noch immer.
Inzwischen konnte er sich eine andere Wohnung leisten. Er war bisher bloß nicht dazu gekommen.
Während er das Kind musterte, fragte er sich, was zum Teufel er tun sollte. Er dachte an Coach Landry Holmes, den Mann, der ihn unter seine Fittiche genommen hatte, als er so alt gewesen war wie AJ jetzt. Coach Holmes war für ihn in vielerlei Hinsicht immer mehr Elternteil, als Trudy Crutcher es jemals hatte sein können. Holmes war es, der ihn auf dem Sandplatz Baseball hatte spielen sehen, da, wo der Müll wie Präriegras über den verdorrten Platz wirbelte. Sie hatten alte Papiertüten als Bases benutzt und den Spielstand mit einem Stock in den tonhaltigen Boden geritzt.
Holmes hatte ihn zu seinem Projekt gemacht, da er im Pitching-Arm des Zwölfjährigen Stärke und Potenzial sah. Als Trudy mit ihren Rechnungen nicht mehr hinterherkam und er und sein Bruder in Pflegefamilien untergebracht werden mussten, waren es Coach Holmes und seine Frau Emmaline, die sie beide zu sich nach Hause nahmen. Dort bekamen sie zu essen und es wurde dafür gesorgt, dass sie ihre Hausaufgaben machten, sich die Haare schneiden ließen und zur Kirche gingen. Die Holmes’ waren mit größerer Regelmäßigkeit zum Training und zu den Spielen gekommen, als Trudy es je getan hatte. Ihm war das sehr recht gewesen, denn wann immer seine Mutter irgendwo auftauchte, sorgte sie für Unruhe. Sie trug ihr Haar hoch toupiert und ihre Oberteile zu tief ausgeschnitten. Kurz, man konnte sie unmöglich ignorieren.
Trotz der Freundlichkeit, die er von Landry und Emmaline Holmes erfahren hatte, fühlte er sich vollkommen unvorbereitet darauf, selbst Vater zu sein. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb er sich so seltsam abgeschnitten vorkam. Er schwankte zwischen dem Drang zu fliehen und mit all dem nichts zu tun zu haben und dem absoluten Gegenteil, nämlich dem Wunsch, seinen Jungen vor allem zu beschützen, koste es, was es wolle. Er hatte zwölf Jahre jeden Monat den Unterhalt für das Kind überwiesen, selbst wenn er es sich eigentlich nicht leisten konnte. Dadurch hatte er das Gefühl gehabt, seinen Teil beizutragen, ohne sich emotional einlassen zu müssen. Aus heiterem Himmel brauchte sein Sohn ihn plötzlich. Und er hatte keine Möglichkeit, der Verantwortung weiterhin den Rücken zuzukehren oder einfach einen Scheck auszuschreiben, um die Sache zu klären. Okay, er könnte es schon, doch so ein großer Trottel war er nun auch wieder nicht.
AJ war jung und zu klein für sein Alter, aber seine Präsenz war riesig. Was für ein Schlamassel, dachte Bo.
„Ich werde mein Bestes geben, Kleiner“, murmelte er.
5. KAPITEL
Kim hatte angenommen, sie werde mindestens eine Woche lang schlafen, sobald ihr Kopf das Kissen berührte, doch die kleinen Sorgendämonen stupsten sie bereits bei Anbruch der Dämmerung unaufhörlich an, bis sie schließlich aufwachte. Sie lag bewegungslos in einem Zimmer, das zugleich fremd und vertraut war. Es war Jahre her, dass sie das letzte Mal in diesem Bett geschlafen hatte, trotzdem waren die Erinnerungen, die in den im Halbdunkel liegenden Ecken und in den Falten der Vorhänge warteten, so frisch wie der Traum, den sie gehabt hatte. Dies war als Kind das Zuhause
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