Nur wenn du mich hältst (German Edition)
sofort auf und blinzelte ins Morgenlicht.
Da, der Haufen auf dem Sofa bestätigte es. Sein Junge war bei ihm. Sein Sohn. Er wartete darauf, sich anders zu fühlen. Nur wie? Väterlich? Wohl kaum. Das Kind war sein Fleisch und Blut, und er würde alles in seiner Macht Stehende tun, um AJ und Yolanda wieder zu vereinen, doch väterliche Gefühle gingen ihm vollkommen ab.
Er gähnte und streckte sich und versuchte, sich möglichst geräuschlos zu erheben und ins Bad zu gehen. Normalerweise schlief er länger, außer er befand sich im Training. Überraschend schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. Es war lustig, wie leicht es war, morgens aus dem Bett zu steigen, wenn man am Abend vorher nicht ein paar Bier gekippt hatte. Okay, nicht lustig im Sinne von Lachen, aber lustig in dem Sinne, dass er es vielleicht öfter probieren sollte.
Ruf mich an , Chardonnay , stand auf einem Post-it, das im Bad am Spiegel klebte, dazu eine Telefonnummer, unter der ein Lippenstiftkuss prangte. Es war irgendwie deprimierend, sich vorzustellen, dass er mit einer Frau namens Chardonnay ausgegangen war. An Einzelheiten erinnerte er sich nicht.
Er nahm den Zettel ab und legte ihn in eine Schublade, änderte seine Meinung dann und steckte ihn in die Hosentasche. Sein Blick fiel auf die Schachtel Kondome. Wow . Er schob sie im Schränkchen unter dem Waschbecken hinter die Rohre und versicherte sich mit einem Rundumblick, dass keine anderen verfänglichen Gegenstände herumlagen.
Er sah sich nicht als Typen, der Geheimnisse hatte, aber im Moment teilte er seine Wohnung mit einem Kind, darauf musste er entsprechende Rücksicht nehmen. Die plötzliche Verantwortung drohte ihn in die Knie zu zwingen, doch was sollte er tun? Vielleicht zuerst einmal Ordnung in sein Leben bringen.
Als er noch ein Junge war, hatte seine Mutter nichts vor ihm geheim gehalten – nicht die spätabendlichen Besucher, nicht das Lachen, die Streitereien, die Fremden, denen er im Haus begegnete, wenn er nachts aufstand, um auf die Toilette zu gehen. Diese Erfahrungen hatten ihren Tribut gefordert, hatten ihn zu einem misstrauischen und vorsichtigen Menschen gemacht, der zu einem misstrauischen und leichtsinnigen Mann herangewachsen war.
Er wusste, dass es einige Dinge gab, die ein Kind einfach nicht sehen sollte. Zumindest so lange nicht, bis jemand anders als er es ihm erklären konnte.
Er und sein Bruder Stoney waren zwar ohne Vater aufgewachsen, doch sie hatten viele Onkel gehabt. Allerdings keine blutsverwandten Onkel. „Onkel“ war die Umschreibung für die Bauerntölpel und den Abschaum von den Ölfeldern, die ihre Mutter vögelten.
Obwohl er also nicht die geringste Ahnung davon hatte, wie man ein Kind erzog, wusste er, dass man es nicht irgendwelchen Gegebenheiten aussetzte, bevor es in der Lage war, damit umzugehen. Er erinnerte sich an zu viele Nächte, in denen er mit Magenschmerzen wach gelegen und der leisen Stimme eines Fremden gelauscht hatte, die durch die dünnen Wände des Trailers drang, in dem sie wohnten. Eine seiner frühesten Erinnerungen war sein Bruder, der sagte: „Ich schwöre, wenn du mir noch mal ins Bett pinkelst, schlag ich dir die Fresse ein. Das schwöre ich bei Gott.“
Er und Stoney waren dazu übergegangen, in leere Colaflaschen zu pinkeln, anstatt nachts aufzustehen und Gefahr zu laufen, mit Onkel Terrell oder Onkel Dwayne zusammenzustoßen oder mit wem auch immer ihre Mama sich in der entsprechenden Nacht die Einsamkeit vertrieb. So erklärte sie ihren Jungen die Besucher. „Sie bewahren mich davor, mich einsam zu fühlen.“
„Das kann ich doch auch machen“, hatte er gesagt, als er noch klein war. „Ich kann dich davor bewahren, einsam zu sein. Ich singe dir was vor, Mama. Ich spiele Gitarre.“ Er war nicht gut darin, aber er kannte den Text von Mr Bojangles , dem Lied über seinen Namensvetter.
Seine Mama hatte ihm das Haar zerzaust und ihn traurig angelächelt. „Das ist eine andere Form der Einsamkeit, mein Süßer. Eine Einsamkeit, bei der du mir nicht helfen kannst.“
Mit der Zeit hatte er verstanden, was sie meinte, aber das Gefühl der Angst in seiner Kindheit hatte er nie vergessen. Dem würde er AJ nicht aussetzen. Den Rest des Wochenendes – oder wie lange der Junge auch bei ihm bliebe – würde Bo Crutcher wie ein Mönch leben.
Ja, genau, hörte er seine Freunde förmlich anzüglich grinsend sagen. Menschen, die ihn kannten, hatten ihn nie länger als ein, zwei Wochen ohne eine Verabredung
Weitere Kostenlose Bücher