Nur Wenn Du Mich Liebst
könnte, der deine Geschichte bestätigen kann?«
Tracey zuckte die Achseln und wandte den Blick ab.
»Tracey, gibt es irgendwen, den ich aufrufen könnte?«
»Nein.«
Vicki begann, den rechteckigen Tisch zu umkreisen.
Scheiß auf die Scheißer. Scheiß auf die Anwälte,
las sie und dachte, dass dieser Fluch bereits wahr geworden war. Sie saß in der Scheiße, und zwar gründlich. »Ich brauche irgendetwas, Tracey. Ich kann nicht in diesen Gerichtssaal gehen mit nichts weiter in der Hand als deiner Aussage über die Ereignisse jener Nacht.«
»Meinen Sie nicht, dass die Geschworenen mir glauben werden?«
»Nenn ihnen einen Grund, dir zu glauben, Tracey. Nenn
mir
einen Grund.«
Tracey sank auf ihrem Stuhl in sich zusammen und streckte ihre Beine aus. Sie rieb sich die Hände an der hellblauen Hose ihrer Häftlingskluft. »Es gibt etwas, was ich Ihnen erzählen könnte.«
Vicki hörte auf zu kreisen, blieb wie angewurzelt stehen und wartete, dass Tracey fortfuhr.
»Etwas, das Sie davon überzeugen würde, dass ich die Wahrheit sage. Etwas, was die Geschworenen überzeugen würde.«
»Und was ist das?«
»Etwas über meine Mutter. Etwas, was Sie nicht wissen und was ich noch nie jemandem erzählt habe.«
»Mir kannst du es erzählen.«
Tracey richtete sich wieder auf und saß kerzengerade auf ihrem Stuhl. Mit dem Kopf wies sie auf den anderen Stuhl. »Vielleicht sollten Sie sich lieber setzen.«
32
Die Eröffnungsplädoyers begannen am Donnerstag, dem 14. Januar 1993.
Vicki beobachtete, wie Michael Rose sich von seinem Platz hinter dem Tisch des Anklägers erhob und entschlossen auf die Geschworenen zu schritt. Die Auswahl der aus sieben Frauen und fünf Männern bestehenden Jury hatte drei Tage gedauert. Acht Geschworene waren weiß, zwei schwarz und zwei asiatischer Abstammung. Neun waren verheiratet, zwei geschieden, einer allein stehend. Insgesamt hatten sie zweiunddreißig Kinder und Enkel, davon zwanzig Mädchen. Alle schworen, dass die Sensationsberichterstattung vor dem Prozess sie nicht beeinflusst hatte und sie sich keine vorgefasste Meinung gebildet hatten. Die Hälfte von ihnen wirkte nervös, sie saßen vorgebeugt und mit vor Erwartung glänzenden Augen auf ihren Plätzen; die anderen sahen gelangweilt aus, in bequemer Sitzhaltung zurückgelehnt, die Augen bereits halb geschlossen. Der Richter hatte ihnen schon erklärt, dass der Prozess drei Wochen, aber auch drei Monate dauern könnte.
»Meine Damen und Herren Geschworenen«, begann Michael, »guten Morgen.«
Und lassen Sie mich Ihnen bereits im Voraus danken, rezitierte Vicki stumm den wohl bekannten Vortrag.
»Und lassen Sie mich Ihnen bereits im Voraus danken«, fuhr Michael fort und knöpfte den untersten Knopf seiner dunkelgrauen Anzugjacke zu, die er immer am ersten Tag eines wichtigen Prozesses trug. Es sei eine Art Glücksbringer, hatte er Vicki einmal erklärt. Grauer Anzug, gelbe Krawatte für das Eröffnungsplädoyer, blauer Anzug, rote Krawatte für das Schlussplädoyer.
Ein Mann mit Grundsätzen, dachte Vicki und hielt sich die Hand vor den Mund, während sie seine Worte weiter stumm mitsprach. »Die vor Ihnen liegende Aufgabe ist nicht leicht.«
»Haben Sie etwas gesagt?«, flüsterte Tracey neben ihr.
Vicki nahm die Hand vom Mund und tätschelte Traceys Hände in dem Wissen, dass mindestens einer der Geschworenen die Geste bemerken würde. Traceys Hände fühlten sich schön warm an, während Vickis so kalt waren, als hätten sie über Nacht im Gefrierfach gelegen.
»Doch ich werde versuchen, sie Ihnen so leicht wie möglich zu machen«, fuhr Michael fort. Jedes Mal dieselbe beschissene Rede, dachte Vicki und blickte zu Richter Fitzhenry, einem 64-jährigen Mann mit täuschend sanften Gesichtszügen. Mit seinem runden Gesicht und den weißen Strähnen sah er zwar aus wie jedermanns Lieblingsonkel, doch hinter seinem freundlichen Lächeln lauerte eine spitze Zunge, und seine barmherzigen blauen Augen verbargen eine zynische Seele.
»Die Fakten sind in diesem Fall wirklich recht einfach«, führte Michael weiter aus. »In den frühen Morgenstunden des 18. August 1992 irgendwann zwischen drei und fünf Uhr wurde eine 46-jährige Frau namens Barbara Azinger brutal erschlagen.«
Vicki beobachtete Traceys Gesicht, während Michael mit der dramatischen Auflistung der grausamen Einzelheiten begann. Tracey wirkte ruhig, beinahe heiter, und sah in dem rosa Pullover und dem dunkelblauen Faltenrock aus wie die artige
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