Nur Wenn Du Mich Liebst
Herrgott jeden Tag aufs Neue dankbar«, rief sie und knallte die Tür hinter sich zu.
»Verdammte Scheiße!« Vicki nahm einen Mont-Blanc-Füller und schleuderte ihn genau in dem Moment Richtung Tür, in dem ihre Sekretärin erneut den Kopf hereinsteckte. Der Stift verfehlte den Kopf der jungen Frau nur um Haaresbreite. »Verdammt, können Sie nicht klopfen?«
»Ich habe Sie schreien hören«, setzte die Sekretärin an und brach in Tränen aus. »Tut mir Leid«, fügte sie noch hinzu und trat eilig den Rückzug an.
»Verdammt.« Warum waren bloß alle so verdammt empfindlich dieser Tage? Chris war so außer sich über Traceys Vorwürfe gewesen, dass sie Vickis Anrufe hartnäckig nicht erwiderte; Susan, die nicht an falscher Schüchternheit litt, war in ihr Büro gestürmt und hatte ihre Motive und ihre Integrität offen angezweifelt. Und dann diese albernen Anspielungen auf ihre Mutter, Herrgott noch mal. Sogar Jeremy hatte die Klugheit ihres Entschlusses in Frage gestellt.
»Vielleicht solltest du diesen Fall jemand anderem überlassen, Darling«, hatte er ihr geraten.
»Vielleicht solltest du dich um deinen Kram kümmern«, hatte sie ihn angefaucht.
Warum konnte sie nicht auf die anderen hören? War Traceys Verteidigung es wirklich wert, den Respekt ihres Mannes und ihre besten Freundinnen zu verlieren? Glaubte sie wirklich, dass Tracey etwas anderes war als eine berechnende kleine Psychopathin, der es durchaus zuzutrauen war, sich mithilfe der gängigen Populärpsychologie vor den Konsequenzen ihres Handelns zu drücken?
»Ich weiß es nicht«, rief Vicki frustriert. Trotz Susans, Chris' und Jeremys Vorwürfen war sie nach wie vor fest davon überzeugt, das zu tun, was Barbara gewollt hätte. Barbara hätte zuvorderst und ohne Rücksicht auf was auch immer gewollt, dass ihre Tochter geschützt wurde. Und wenn Tracey ihre Mutter nur deshalb getötet hatte, weil ihr verdammt noch mal danach war, hätte Barbara immer noch gewollt, dass Vicki sie verteidigen und alles in ihrer Macht Stehende tun würde, um ihrer Tochter das Gefängnis zu ersparen.
Ich tue das Richtige, sagte Vicki sich.
Auch auf den Verdacht hin, dass Tracey eine gefährlich instabile Persönlichkeit und mögliche Bedrohung für andere ist?, flüsterte eine leise Stimme in ihrem Kopf. Selbst auf Kosten von allem, was dir lieb und teuer ist?
»Es geht hier nicht um mich«, wiederholte Vicki. Die Angebote aus New York, die Anfragen aus Hollywood, die Aufmerksamkeit der Medien, all das war nicht wichtig. Wichtig war, dass sie das Andenken ihrer Freundin auf die beste Weise wahrte, die sie kannte.
»Was für eine lahme Ausrede«, hörte sie Susan höhnen.
»Geschliffene Spitzfindigkeiten«, stimmte Jeremy ihr zu.
Chris wandte sich ab und weigerte sich, mit ihr zu sprechen.
»Na toll«, sagte Vicki und wandte ihren imaginären Richtern den Rücken zu, so wie sie ihr den Rücken gekehrt hatten.
In einem Punkt jedoch waren sich alle einig: Sie hatte keine Beweise. Sie konnte theoretisieren, so viel sie wollte. Letztendlich hatte sie nichts außer Traceys Wort.
»Weißt du, ich freu mich wirklich darauf, dir den Arsch aufzureißen«, hatte Michael Rose ihr nachgerufen, und sein Bild zwinkerte ihr nun entgegen.
»Kommt überhaupt nicht in Frage«, sagte Vicki laut, schnappte sich ihre Handtasche und stürmte zur Tür. »Nehmen Sie sich den Rest des Tages frei«, erklärte sie ihrer verblüfften Sekretärin, bevor sie den Flur hinunterrannte.
»Das verstehe ich nicht«, sagte Tracey. »Was machen Sie hier?«
»Ich brauche noch mehr«, wiederholte Vicki, wie jedes Mal erstaunt über die gesunde Gesichtsfarbe des Mädchens und die Art, wie sie hinter Gittern regelrecht aufzublühen schien.
»Ich habe Ihnen alles erzählt.«
»Das reicht nicht.«
»Es ist die Wahrheit.«
Wann hätte die Wahrheit je gereicht, fragte Vicki sich und kniff die Augen zusammen, die in dem grellen Neonlicht brannten. »Ich brauche mehr«, sagte sie noch einmal.
»Mehr gibt es nicht.«
»Denk scharf nach, Tracey. Gab es irgendwelche Zeugen?«
»Zeugen?«
»Jemand, der möglicherweise gesehen hat, wie deine Mutter dich in unangemessener Weise berührt hat.«
Tracey schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Sie hat es nur gemacht, wenn wir alleine waren.«
»Hat sie je eine anzügliche Bemerkung in Gegenwart eines anderen gemacht?«
»Inwiefern anzüglich?«
Vicki versuchte einen anderen Ansatz. »Gibt es irgendjemanden, den ich in den Zeugenstand rufen
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