Nur Wenn Du Mich Liebst
einem wissenden Grinsen erwiderte. »Der Staatsanwalt sagt, dass sie ihre Geschichte erst angesichts massiver Beweise geändert hat. All das ist wahr.« Vicki machte eine Pause, um das Gesagte sacken zu lassen. »Und es ist gleichzeitig auch nicht wahr.« Ihr Blick wanderte von einem Geschworenen zum nächsten, bis sie mit allen Kontakt hergestellt hatte. »Ja, Tracey Azinger hat gelogen.« Vicki wandte sich abrupt zu Tracey um, sicher, dass die Blicke der Geschworenen ihr folgen würden. Tracey starrte durch einen dichten Vorhang aus Tränen zurück. »Aber nicht um sich selbst zu schützen«– sie machte eine weitere lange Pause, noch länger als beim ersten Mal –, »sondern um ihre Mutter zu schützen.«
Vicki verharrte reglos, sorgfältig darauf bedacht, die Aufmerksamkeit nicht von ihrer Mandantin abzulenken. »Sie hat gelogen, weil sie nicht wollte, dass irgendwer erfuhr, was für schreckliche und unnatürliche Dinge ihre Mutter ihr seit Jahren angetan hatte. Wenn ich die elegante Formulierung des Staatsanwaltes ausborgen darf, sie wollte ›ihre Mutter nicht noch einmal ermorden‹. Doch letztendlich blieb ihr keine andere Wahl. Genauso wenig wie sie eine andere Wahl hatte, als ihre von ihr verehrte Mutter zu töten, um sich vor dem sich ausweitenden Missbrauch dieser Mutter zu schützen.«
Aus den Augenwinkeln sah Vicki, wie Michael Rose genau wie sie zuvor den Kopf schüttelte. »Der Staatsanwalt sagt, dass wir keinerlei Beweise vorlegen können, die unsere Anschuldigungen untermauern. Er irrt. Er behauptet, wir hätten nur Traceys Wort. Er irrt wieder. Und er irrt auch, wenn er sie auffordert, die kleine Stimme in ihrem Kopf zu ignorieren, die immer fragt: ›Warum? Warum sollte ein liebes und innig geliebtes sechzehnjähriges Mädchen etwas so Schreckliches tun?‹ Ich fordere Sie auf, auf diese Stimme zu hören, denn es ist die Stimme der Vernunft. Die Stimme des begründeten Zweifels.«
Vicki lächelte die Geschworenen traurig an und ging dann forsch am Tisch des Anklägers vorbei zurück zu ihrem Platz.
Als Erste rief die Anklage die Lieutenants Jacobek und Gill in den Zeugenstand, die gleich lautende Aussagen über den Tatort, Traceys Verhalten, ihre sich ständig verändernde Geschichte und ihre unverhohlenen Lügen machten. Ein weiterer Beamter berichtete, wie er zunächst in einer Ecke von Traceys Kleiderschrank die Mordwaffe und dann in ihrer Schmuckschatulle Barbaras Verlobungsring gefunden hatte. An der Innenseite des schmalen Platinrings hatte man Hautpartikel von Barbara entdeckt. Mehrere gerichtsmedizinische Sachverständige beschrieben in allen quälenden Einzelheiten die Zahl und Heftigkeit der von Tracey geführten Schläge, Art und Schwere der Verletzungen und die vorsätzliche Zerstörung von Barbaras Gesicht.
Vicki beschränkte sich auf kurze und direkte Fragen. Es war vollkommen zwecklos zu versuchen, die Indizien in Frage zu stellen. Langwierige Befragungen würden die schrecklichen Bilder nur umso plastischer vor dem inneren Auge der Geschworenen erstehen lassen.
»Wie würden Sie Traceys Verhalten nach Ihrem Eintreffen am Tatort an jenem Morgen beschreiben?«, fragte Vicki beide Beamte.
»Sie war sehr erregt«, räumte Lieutenant Jacobek ein.
»Sie war hysterisch«, stimmte Lieutenant Gill ihm zu.
»Sie wirkte traumatisiert«, las der dritte Beamte aus seinen Notizen.
»Keine weiteren Fragen«, sagte Vicki.
Am fünften Tag der Zeugenaussagen rief Michael Rose Susan Norman in den Zeugenstand.
»Heben Sie die rechte Hand«, wies der Gerichtsdiener Susan an, als sie vereidigt wurde. »Bitte nennen Sie Ihren Namen und buchstabieren Sie ihn für das Gericht.«
Susan nannte ihren Namen, buchstabierte ihn langsam und sorgfältig und nahm dann Platz, ohne Vickis Lächeln zu beachten.
Wie du willst, dachte Vicki und stellte fest, dass Susans roter Rollkragenpullover die natürliche Röte ihrer Wangen betonte.
»In welcher Beziehung standen Sie zu Barbara Azinger?«, fragte Michael. Er trug einen dunkelbraunen, zweireihigen Nadelstreifenanzug, der Vickis Hosenanzug erstaunlich ähnelte. Vicki hatte es mit einem Stirnrunzeln registriert und sich nur halb im Scherz gefragt, ob sie ihn später anrufen und fragen sollte, welche Farbe er am nächsten Tag zur Arbeit tragen würde.
»Barbara war eine meiner engsten Freundinnen.«
»Wie lange waren Sie befreundet?«
»Vierzehn Jahre.«
»Können Sie dem Gericht erzählen, was am Morgen von Barbaras Ermordung passiert
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