Nur Wenn Du Mich Liebst
Probleme. Je dümmer man war, desto glücklicher war man, beschloss sie und trug erneut Rouge auf ihre schon wieder erblassten Wangen auf. Sie zupfte ein weiteres Mal ihre Bluse zurecht, strich den Rock glatt, warf einen letzten Blick in den Spiegel und trat auf den Flur, um ihren Mann zu suchen.
4
Chris hörte die Klingel, überlegte, ob sie die Tür öffnen sollte, und entschied dann, es einfach klingeln zu lassen. Tony würde aufmachen, ihren Freundinnen erklären, dass sie beschäftigt war und später zurückriefe. Nur dass sie später meist wieder mit etwas anderem beschäftigt war, und dann war es irgendwann zu spät, um noch anzurufen, und ein weiterer Tag verstrich und noch einer. In letzter Zeit sah oder sprach sie ihre Freundinnen manchmal eine Woche lang nicht. Sie hatte Susans Geburtstagsessen verpasst, den Einkaufsbummel mit Barbara abgesagt und Vickis letzte Essenseinladung ausgeschlagen. Jetzt war es schon Mitte September, und sie hatten sich seit Juni erst wie oft – dreimal gesehen? Früher hatten sie täglich miteinander gesprochen. Nichts Wichtiges. (»Hi, wollte nur kurz Bescheid sagen, dass ich einkaufen gehe. Brauchst du irgendwas?«) Solche Sachen. (»Warte, bis du hörst, was Ariel gestern gemacht hat.«»Du hättest sehen sollen, wie niedlich Tracey in dem neuen Kleid aussah.«»Kirsten sagt, dass sie die Stadtranderholung scheiße findet.«) Alltagskram. (»Wir sprechen uns später.«»Das musst du dir anhören.«»Ruf mich morgen an.«) Die Sachen, die einen davor bewahrten, den Verstand zu verlieren.
(»Ich liebe dich.«)
Ich liebe euch auch.
Wann hatte sie aufgehört, ihre Anrufe zu erwidern? Seit wann war sie zu beschäftigt, ihre Freundinnen zu treffen?
Sie hörte Tony an der Haustür. »Na hallo, Mädels. Das ist aber eine nette Überraschung.«
Und dann drei Stimmen, die gleichzeitig sprachen. »Wo ist sie?«»Wir lassen uns nicht abwimmeln.«»Chris, beweg deinen Arsch hier runter.«
»Ich komme sofort«, rief Chris von oben mit klopfendem Herzen, rannte ins Bad und überprüfte ihr Spiegelbild. »Ich sehe okay aus«, versicherte sie sich, fuhr mit einem Kamm durch ihr schulterlanges Haar und band es mit einem violetten Haargummi zu einem Pferdeschwanz. Sie zog die graue Trainingshose aus, die sie seit zwei Tagen anhatte, schlüpfte in eine weiße Hose und tauschte ihr verblichenes gelbes gegen ein lavendelblaues T-Shirt. Wozu der Aufwand?, fragte sie sich. Wohin wollte sie gehen? Bloß nach unten, um hallo zu sagen.
»Chris, was zum Teufel machst du da oben?«, rief Vicki die Treppe hinauf.
»Ich komme sofort.« Chris rührte sich nicht. Vielleicht würden sie des Wartens überdrüssig werden und gehen, wenn sie genug Zeit verstreichen ließ.
»Ich zähle bis zehn und dann komme ich hoch«, warnte Barbara.
Chris warf einen letzten Blick in den Spiegel und stürzte in den Flur. Sie tauchte am Treppenabsatz auf, als Barbara ihren Fuß gerade auf die erste Stufe setzte.
»Da ist sie!«, verkündete Barbara entzückt. »Sie existiert. Es gibt sie wirklich. Wir haben sie uns nicht nur ausgedacht.«
Im nächsten Augenblick war Chris in Barbaras Armen und spürte die Wärme der anderen Frau wie Kaschmir auf ihrer Haut, während der feine Moschusgeruch von Barbaras Parfüm um ihren Kopf tanzte wie Feenstaub. Chris schloss die Augen, vergrub den Kopf an Barbaras Brust und sog den wunderbaren Duft ein.
»Alles in Ordnung?«, flüsterte Barbara und drückte Chris fest an sich.
Ein unfreiwilliger Schrei, halb Winseln, halb Seufzen, drang aus Chris' Kehle, und sie löste sich aus der Umarmung.
»Was ist los?«
»Offenbar weißt du selbst nicht, wie stark du bist, Barbie«, sagte Tony lachend, trat zu den beiden Frauen auf die Treppe, legte einen Arm um seine Frau und führte sie behutsam die Stufen hinunter in den Hausflur, wo Susan und Vicki warteten. »Chris hat sich ein paar kleine Prellungen zugezogen. Sie hat euch doch erzählt, dass sie letzte Woche die Treppe hinuntergefallen ist, oder nicht?«
»Was?«, fragte Susan.
»Du bist die Treppe runtergefallen?«, fragte Vicki.
»Mein Gott, ist alles in Ordnung?«, fragte Barbara.
»Es waren bloß die letzten zwei Stufen«, versicherte Chris ihnen. »Und mir geht es gut, was man von Wyatts Spielzeugeisenbahn, fürchte ich, nicht behaupten kann. Die habe ich bei der Landung nämlich gründlich demoliert.« Sie versuchte zu lachen, doch der stechende Schmerz in der Rippengegend ließ das Geräusch auf ihren Lippen
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