Nur Wenn Du Mich Liebst
außergerichtlichen Einigung nicht verschließen.«
»Das glaube ich gerne.«
»Dann könntest du vielleicht mit deiner Mutter und deinem Bruder reden und uns dann über euren Anwalt ein Angebot unterbreiten.«
»Kommt nicht in Frage«, sagte Paul wütend.
»Dann sehe ich keine andere Möglichkeit.« Möglichkeiten, wiederholte Vicki still, dachte an Chris und blickte zum Telefon.
»Willst du das wirklich tun?« Paul Moore begann vor Vickis Schreibtisch auf und ab zu laufen, wodurch er den Dampf aus den unangerührten Kaffeebechern aufwirbelte, der wie Rauchkringel zur Decke stieg. »Willst du meine Familie wirklich durch den Schlamm ziehen? Willst du meine Schwester in den Zeugenstand rufen, damit sie das Blaue vom Himmel herunterlügen kann?«
»Ich würde es nie zulassen, dass deine Schwester im Zeugenstand lügt.«
Paul Moore blieb wie angewurzelt stehen. »Was willst du damit sagen? Dass du den Scheiß, den sie dir erzählt, glaubst?«
»Du weißt genau, dass ich dir nichts über unsere Gespräche sagen kann.«
»Das brauchst du auch gar nicht. Ich weiß genau, was sie gesagt hat. Ich höre den Mist schon mein ganzes Leben lang: Mein Vater hat sie nie geliebt; nichts, was sie getan hat, war je gut genug für ihn; er hat sie immer ›Dummerchen‹ genannt, weil sie nicht so intelligent war wie ich und mein Bruder; er hat sie nicht ernst genommen und wollte sie nicht in das Familienunternehmen lassen. Lassen wir die Tatsache außer Acht, dass sie sich geweigert hat, aufs College zu gehen, und nie das geringste Interesse an der Firma gezeigt hat. Das tut nichts zur Sache. Das ist irrelevant, wie du sagen würdest. Nicht zu vergessen, dass er ihre Kleidung, ihre Freunde und Ehemänner missbilligt hat. Dass er Recht hatte, tut nichts zur Sache, dass sie rumgelaufen ist wie eine Nutte, dass ihre Freunde ein Haufen erbärmlicher Versager waren, dass mein Vater ihre Scheidungen bezahlt hat. Wahrscheinlich hat sie vergessen, diese Kleinigkeit zu erwähnen. Genauso wie sie garantiert und bequemerweise vergessen hat, was meine Eltern durchgemacht haben, solange sie noch zu Hause gewohnt hat, all die gemeinen Lügen, deretwegen sie schließlich rausgeflogen ist.«
»Was für Lügen?«
»Oh, lass mich überlegen. Wo soll ich anfangen, wo soll ich anfangen?« Paul Moore ließ sich wieder in den wartenden Stuhl fallen und führte den Becher an die Lippen. »Einmal kurz nach Adriennes sechzehntem Geburtstag hat mein Vater sie mit irgendeinem Penner im Fahrstuhl eines Hotels erwischt, unterwegs zum Zimmer dieses Typen.« Paul schüttelte den Kopf, und seine grünen Augen flackerten ungläubig. »Und zeigt sie sich ein bisschen zerknirscht oder reuevoll? Nein. Wie reagiert die kleine Adrienne darauf, dass man sie quasi in flagranti mit einem schmuddeligen Dealer im Aufzug eines entlegenen Hotels erwischt? Sie beschuldigt meinen Vater, das Hotel selbst mit einer Geliebten aufgesucht zu haben, vor meiner Mutter, ohne sich einen Dreck darum zu kümmern, wem sie damit wehtut. Dass mein Vater geschäftlich in dem Hotel zu tun hatte, dass die Frau eine Kundin war, die in der Stadt übernachtet hat, war ihr egal. All das spielt keine Rolle. Und was macht sie, nachdem sie zur Strafe einen Monat Hausarrest bekommen hat? Sie schleicht sich nachts aus dem Haus, stiehlt den Wagen und fährt in den Zaun des Nachbarn. Sie sitzt eine Weile im Jugendknast, kommt nach Hause, schmeißt die Schule, sitzt rum, trinkt, nimmt Drogen und erzählt Lügen.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel, dass ihr Vater sie nicht etwa hasst, weil sie ihr Leben vergeudet, Drogen konsumiert oder undankbar ist, sondern weil sie ihn durchschaut hat und alles über sein geheimes Doppelleben weiß. Über seine Frauen. Sie hat ihn beim Telefonieren belauscht und gehört, wie er heimliche Rendezvous verabredet hat. Sie weiß von seiner Geliebten in Dayton, seiner Affäre mit ihrer ehemaligen Babysitterin und den Freizügigkeiten, die er sich gegenüber einer ihrer Freundinnen herausgenommen hat. Lügen, Lügen und noch mehr Lügen. Überraschend ist nicht, dass er sie aus seinem Testament gestrichen hat, überraschend ist vielmehr, dass er sie nicht viel früher, als er es getan hat, aus seinem Leben gestrichen hat.«
Vicki wählte ihre nächsten Worte mit Bedacht. »Ich denke, du solltest dir lange gründlich überlegen, ob du diese Sache nicht außergerichtlich regeln willst.«
Paul Moore stellte seinen Kaffeebecher wieder auf den Tisch, ohne einen Schluck
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