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Nur Wenn Du Mich Liebst

Titel: Nur Wenn Du Mich Liebst Kostenlos Bücher Online Lesen
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zurück, blickte sich hektisch auf der leeren, verschneiten Straße um und fragte sich, was sie jetzt tun sollte. Zitternd ließ sie ihren Blick an der Fassade hinaufwandern und sah, dass Montana von ihrem Fenster aus zusah. »Montana!«, rief sie, doch eine eisige Böe verwehte ihre Worte. Hilflos musste Chris mit ansehen, wie ihre Tochter sich abwandte, bevor in allen Fenstern des Hauses, eins nach dem anderen, die Lichter erloschen.

16
    Barbara lag im Bett und versuchte über das erste Kapitel eines Buches hinauszukommen, das alle Welt für wunderbar hielt, hatte jedoch Probleme, sich zu konzentrieren. Obwohl sie den letzten Absatz schon mindestens viermal gelesen hatte, wusste sie immer noch nicht, was eigentlich darin stand. Sie klappte das Buch zu und ließ es auf ihre Knie sinken. Neben ihr schlief Tracey, die sich ihr Kissen zum Schutz gegen die Leselampe über die Augen gelegt hatte. »Mein süßes Mädchen«, flüsterte Barbara. »Was würde ich bloß ohne dich machen?« Sie legte das Buch auf den Nachttisch, zog behutsam das Kissen von Traceys Gesicht und strich ein paar zerzauste Strähnen aus ihrer Stirn, während sie das Gesicht ihrer Tochter mit Blicken aufnahm wie ein trockener Schwamm frisches Wasser. Tracey rührte sich im Schlaf und drehte sich auf den Rücken. Dabei flatterten ihre Lider, als wollte sie die Augen öffnen.
    »Tracey?«, fragte Barbara hoffnungsvoll. Manchmal schien Tracey unbewusst zu spüren, dass Barbara nicht schlafen konnte. Dann wachte sie auf, setzte sich im Bett auf, und sie unterhielten sich. Über Filme, Mode, Kosmetik, Prominente. Barbara wusste, dass meistens sie redete, während Tracey vor allem zuhörte. Manchmal ging Barbara auch noch weiter – vertraute ihrer Tochter ihre Ängste, Enttäuschungen und Unsicherheiten an, und Tracey beruhigte sie auf ihre gelassene Art. Nur gelegentlich kam Barbara der Gedanke, dass sie ihrer jugendlichen Tochter vielleicht zu viel aufbürdete, doch Tracey beschwerte sich nie. Wann haben wir die Rollen getauscht?, fragte Barbara sich jetzt. Wann war das dreizehnjährige Mädchen in dem blau gepunkteten weißen Pyjama die Mutter und sie das Kind geworden? Sollte nicht eigentlich sie alles wissen, klug und kompetent, geduldig und stark sein? Stattdessen war sie dumm, unfähig und schwach. Eine Betrügerin. Sie wusste gar nichts. Spürte Tracey das? Gab sie deswegen so wenig von sich selbst preis?
    Nicht dass Tracey heimlichtuerisch, unhöflich oder auch nur schwierig gewesen wäre. Nein, ihre Tochter war stets umgänglich, hilfsbereit und nett. Sie beantwortete jede Frage ihrer Mutter –über die Schule, ihre Freundinnen, Jungen – aufrichtig und freimütig. Im Großen und Ganzen lief es in der Schule gut, ihre Freundinnen waren super, und ja, am Horizont hatte sich auch schon der eine oder andere Junge gezeigt. Wenn Barbara manchmal drängte, mehr Einzelheiten zu erfahren, war Tracey ihr auch darin gern gefällig und trug die profanen Details ihres Alltags mit einer Gründlichkeit und Sorgfalt vor, als würde sie in der Schule ein Gedicht aufsagen. Sie hatte anscheinend keinen echten Ehrgeiz, keinen brennenden Wunsch, dies oder jenes zu sein, und war deswegen auch selten enttäuscht oder niedergeschlagen. Sie schien die Scheidung ihrer Eltern spielend gemeistert zu haben, hatte sich gut in ihre wachsende neue Familie eingefunden und lebte ihr Leben auf eine Art weiter, die ihre Mutter nur staunend bewundern konnte, weil sie selbst so absolut unfähig dazu war.
    »Tracey?«, fragte Barbara noch einmal, doch Traceys Augen blieben stur geschlossen.
    Barbara strich über ihre Wange und begriff, dass sie ihr einziges Kind im Grunde nicht besonders gut kannte.
    Du kriegst das ganz großartig hin, versicherten ihre Freundinnen ihr. Tracey ist ein prima Mädchen, waren sich alle einig.
    Was man nicht von allen Töchtern der Grand Avenue sagen konnte.
    Während Vickis Tochter Kirsten sich erstaunlich entwickelt hatte – erstaunlich angesichts der Tatsache, dass sie von einer Reihe von Hausmädchen erzogen worden war und ihre Mutter kaum sah, was, wie Barbara jetzt erkannte, fast ein Spiegel von Vickis eigener Kindheit war –, war Susans älteste Tochter Ariel im besten Fall mürrisch, laut ihrer Mutter jedoch meistens regelrecht verbockt und störrisch. Ariel war rebellisch, streitlustig und leicht erregbar, während sie sich mit dem Verzeihen umso schwerer tat, kurzum sie war in praktisch jeder Beziehung das absolute Gegenteil von

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