Nur zu deinem Schutz (German Edition)
nicht verkneifen konnten, dabei übertrieben zu ächzen. Ema machte danach allerdings nicht den Eindruck, als hätte sie jetzt mehr Vertrauen in ihre Mitmenschen als vorher.
Als Nächstes spielten wir irgend so ein dämliches Paintballspiel, bei dem sich zwei Leute verletzten, und dann kam eine Übung, die sich »Vergiftete Erdnussbutter« nannte. Kein Witz – leider. Dafür musste man einen zehn Meter langen imaginären Sumpf aus vergifteter Erdnussbutter durchqueren, aber – »Es kann immer nur einer von euch die Antigift-Schuhe tragen!«, wie Ms Owens erklärte.
Kurz: Wer in den Zweierteams die »Antigift-Schuhe« anhatte, musste seinen Partner Huckepack nehmen. Die meisten Mädchen kicherten albern, während sie auf die andere Seite getragen wurden. Das Ganze wurde von einem Fotografen der Lokalzeitung Star-Ledger dokumentiert, der die ganze Zeit hektisch auf den Auslöser drückte, während ein Reporter der strahlenden Ms Owens Fragen stellte. In ihren Antworten tauchten vor allem immer wieder die Wörter Zusammengehörigkeitsgefühl, Geborgenheit und Vertrauensbildung auf. Es war mir ein absolutes Rätsel, wie der Typ daraus einen interessanten Artikel machen wollte, aber vielleicht brauchten sie ja dringend Material für Geschichten, die das Leben schreibt.
Ich stand mit Ema vor dem vergifteten Erdnussbuttersumpf und wartete, bis ich dran war. Ihr lief schwarze Wimperntusche über die Wangen. Vielleicht war ihr der Angstschweiß ausgebrochen, vielleicht weinte sie lautlos. Oder beides. Ich fragte mich, ob der Fotograf diesen Moment mit der Kamera einfangen würde.
Kurz bevor Ema an der Reihe war, sich von einem Teamkollegen durch die vergiftete Erdnussbutter tragen zu lassen, konnte ich tatsächlich spüren, wie sie anfing, vor Angst zu zittern.
Ich meine, das muss man sich mal vorstellen.
Da hat ein Mädchen, das wahrscheinlich um die hundert Kilo wiegt, seinen allerersten Tag an einer neuen Schule, und dann zwingt man sie, kurze Turnhosen anzuziehen und bei einer völlig hirnverbrannten Gruppenübung mitzumachen, bei der sie sich von schmächtigeren Mitschülern zehn Meter weit wie ein Bierfass schleppen lassen muss, während sie sich am liebsten in einer Ecke zusammenrollen und sterben würde.
Von wegen »Teambildungs-Übungen«.
Ms Owens kam zu unserer Gruppe. »Bist du so weit, Emma?«
Emma? Ich hatte gedacht, sie hieße Ema mit einem m und langem E . Jetzt war ich endgültig verwirrt.
Ema/Emma sagte nichts.
»Na los, Mädchen! Augen zu und durch! Du schaffst das!«
Ich räusperte mich. »Ms Owens?«
Ihr Blick wanderte zu mir. Obwohl das Lächeln wie festgetackert blieb, kniff sie leicht die Augen zusammen. »Und Sie sind?«
»Mickey Bolitar. Ich bin einer der neuen Zehntklässler und würde diese Übung gern auslassen, wenn das okay ist.«
Wieder begann es unter ihrem rechten Auge kaum merklich zu zucken. »Verzeihung?«
»Na ja, ich glaube, ich eigne mich nicht wirklich dafür, getragen zu werden.«
Die anderen Schüler glotzten mich an, als würde mir ein drittes Auge aus der Stirn wachsen.
»Sie sind neu hier, Mr Bolitar.« Das Ausrufezeichen war aus ihrer Stimme verschwunden. »Da ist es eigentlich besonders wichtig, etwas für die Integration in die Gemeinschaft zu tun.«
»Ist die Teilnahme denn Pflicht?«, fragte ich.
»Verzeihung?«
»Ist die Teilnahme an dieser Übung Pflicht?«
»Also … nein, Pflicht ist sie …«
»Gut. Dann lasse ich sie aus.« Ich sah Ema/Emma an. »Was ist mit dir? Leistest du mir Gesellschaft?«
Wir drehten uns um und gingen. Ich hörte, wie hinter mir die Welt verstummte. Dann blies Ms Owens in eine Trillerpfeife, beendete die Übung und schickte alle in die Mittagspause.
»Wow«, sagte Ema/Emma, als wir ein paar Meter weiter weg waren.
»Was meinst du?«
Sie sah mich an. »Du hast das fette Mädchen gerettet. Ich wette, du bist mächtig stolz auf dich.«
Dann schüttelte sie den Kopf und ließ mich stehen.
Ich schaute über die Schulter zurück zu Ms Owens, die uns beobachtete. Sie lächelte immer noch, aber der kalte Ausdruck in ihren Augen ließ keinen Zweifel daran, dass ich es geschafft hatte, mir gleich an meinem ersten Tag Feinde zu machen.
Die Sonne brannte auf mich herunter. Ich tat nichts, um sie daran zu hindern, und schloss einen Moment lang die Augen. Ich dachte an meine Mutter, die bald aus der Entzugsklinik nach Hause kommen würde, und an meinen Vater, der tot auf dem Friedhof lag.
Ich fühlte mich ziemlich allein.
Die
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