Nuramon
schüttelte den Kopf.
»Kannst du ihn etwa verstehen?«, fragte Borugar auf Arlamyrisch.
»Er spricht altes Elfisch«, erklärte Nerimee. Sie wandte sich wieder an den Fremden, dessen Gefährte mit angstvoller Miene zwischen ihr und ihm hin- und herschaute.
»Wie heißt ihr?«, fragte sie.
»Ningilim«, antwortete der eine, und nach kurzem Zögern sagte der andere: »Veremelg.«
»Warum attackiert ihr uns? Und was wurde aus denen, die durch das Tor zu euch kamen?«
»Wir sind Wächter. Wir töten die Diener der Devanthar und warten auf die Elfenkinder. Wir dachten, ihr wäret Diener der Devanthar.«
»Aber mein Vater ist ein Elf.«
»Dann hat er nichts zu befürchten. Mein Volk wird ihn willkommen heißen.«
»Auch wenn er mit Menschen kommt?«, fragte sie, und Ningilim zögerte. »Wir sind die Wächter und haben geschworen, die einen zu töten und die anderen gewähren zu lassen.«
»Und nun kommt der Retter mit jenen, die sich längst von den Fesseln der Devanthar und deren Dienern befreit haben. Ist dir klar, dass mein Vater das letzte Albenkind ist? Der letzte Elf, der je deines Weges kommen kann?«
Er senkte den Blick. »Und du bist seine Tochter?«
»Ja.« Sie hob die Hand und zeigte umher. »Und was du da in der Ferne hörst, ist der Kampf gegen die Diener der Devanthar. Sie wollen uns vernichten.«
Ningilim machte große Augen und schaute hinauf in den leicht bewölkten Himmel, als wäre es das größte Wunder dieser Welt. Er sog Luft durch die Nasenlöcher ein und sagte: »Dann ist alles verloren.«
Nuramon erholte sich nur langsam von dem Kampf und all den Heilzaubern, die seine Wunden und die seiner Gefährten geschlossen hatten. Er hatte viel Magie aus dem grünen Edelstein an der Pforte gezogen. Diese hatte ihm zwar die benötigte Kraft gespendet, doch seine magischen Sinne waren so wund, dass jeder Zauber schmerzte.
Er hatte es zu weit getrieben. Obwohl an Byrnea kein Lebenshauch gewesen war, hatte er mit aller Macht versucht, sie zu heilen und war gescheitert. Während die Ilvaru den Saal sicherten, saß Nuramon am Steintor und tröstete Daoramu. Der Kampf und der Ausbruch von Magie hatten sie zur Verzweiflung getrieben und alte Ängste wieder emporgespült. Nun sagte sie immer wieder nur: »Es tut mir leid.«
Nach einer Weile löste sie sich aus seinen Armen und schaute ihn weinend an. »Was, wenn du ins Mondlicht gehst und ich und die anderen hier gefangen sind?«, fragte sie. »Ich möchte nicht ohne dich sein. Und gewiss nicht hier, wo es keinen Trost gibt.«
Die Frage traf Nuramon wie ein Schlag. Ihm war zwar klar, dass Nerimee von Zeit zu Zeit das Lichttor öffnen würde, aber angesichts jener fremden Wächter drohte der Rückweg schwierig zu werden.
Daoramu schüttelte den Kopf. »Wir haben keine Wahl. Wir sind zu weit gekommen, um jetzt umzukehren.«
Er nickte. »Ich öffne das Tor«, sagte er. »Meine Zaubersinne müssen sich nur ein wenig erholen.«
Sie küsste ihn. »Ich habe nur Angst, Nuramon. Es ist nur die Angst.«
Er strich mit den Fingern über das Steintor. »Was immer dahinter liegt – das ist es, was Dareen befreien wollte. Selbst wenn ich ins Mondlicht entschwinde und euch jeder Weg verstellt ist, mögt ihr dort eure Zuflucht finden.«
Daoramu nickte. »Wirst du meine Macht brauchen?«, fragte sie, und er liebte diese Frage.
»Ohne deine Macht, Daoramu, kann ich es nicht schaffen«, antwortete er und schloss sie wieder in die Arme.
Orakelblick
Borugar hatte Gewissensbisse. Er bereute nicht, die beiden Fremden freigelassen zu haben, doch er wünschte sich, er hätte Nerimee nicht gestattet, sie mit einer Schar Königsgardisten zu begleiten. Gewiss, sie war die Einzige im Lager, die des Elfischen mächtig war, doch das Wagnis war zu groß. Er hatte wie ein Feldherr gedacht, nicht wie ein Großvater, der sich um das Wohl seiner Enkelin sorgte; nicht wie der König, der seine Thronerbin schützen wollte. Nerimee hatte seinen Blick auf die Gefahr gelenkt, die Daoramu und Nuramon drohte, wenn den anderen Wächtern nicht die Augen geöffnet wurden. Die Antwort auf die Frage, was die Wächter behüteten, läutete immer wieder in Borugars Geist. Nerimee hatte ihm die Worte übersetzt. »Das Herz dieser Welt«, hatte sie gesagt.
Bjoremul saß am Rande der Schlacht und erholte sich von der letzten Stunde, in der er mit dem Heer des Fürstenrates gekämpft hatte. Ihre Unterlegenheit machte sich nun bemerkbar. Gewiss, sie hatten die besseren Anführer, die besseren
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